Drama | USA 2017 | 101 Minuten

Regie: Ben Safdie

Zwei Brüder verüben in New York einen Bankraub, doch auf der Flucht wird einer der beiden festgenommen. Da er geistig behindert ist, will ihn sein Bruder so schnell wie möglich aus dem Gefängnis holen und beginnt auf der Suche nach einem Ausweg eine stundenlange nächtliche Jagd durch die Stadt. Ein mit kompromisslos rauer Bildsprache inszeniertes Rennen gegen die Zeit, das durch pulsierende Musik und einen großartigen Hauptdarsteller zur intensiven Filmerfahrung wird. Psychologische und soziologische Hintergründe werden lediglich angedeutet, die gesellschaftskritische Ebene vermittelt sich eher unterschwellig. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
GOOD TIME
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Elara Pic./Rhea Films
Regie
Ben Safdie · Joshua Safdie
Buch
Ronald Bronstein · Joshua Safdie
Kamera
Sean Price Williams
Musik
Oneohtrix Point Never
Schnitt
Ronald Bronstein · Joshua Safdie
Darsteller
Robert Pattinson (Connie Nikas) · Ben Safdie (Nick Nikas) · Jennifer Jason Leigh (Corey Ellman) · Buddy Duress (Ray) · Taliah Webster (Crystal)
Länge
101 Minuten
Kinostart
02.11.2017
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Thriller
Externe Links
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US-Independent-Thriller, bei dem ein missglückter Banküberfall ein Rennen gegen die Zeit auslöst

Diskussion
Die Farbbombe geht im Fluchtwagen hoch und sorgt für einen abrupten Halt. Von unauffälligem Entkommen ist keine Rede mehr, als Connie seinen Bruder Nick aus dem Auto zerrt und die beiden zu Fuß das Weite suchen, vollkommen mit roter Farbe bedeckt. Zwar können sie eine Ladentoilette erreichen, sich notdürftig waschen und die Tasche mit dem Geld verstecken, doch kurz darauf ist die Flucht zumindest für Nick vorbei, als er durch eine Glastür läuft. Das Ende eines Banküberfalls, der von Anfang an nicht wie geplant verlaufen ist: Zu viel Zeit am Schalter, weit weniger Beute als erwartet, das Auto nicht am vereinbarten Treffpunkt. Auf seinen geistig behinderten Bruder als Komplizen zu setzen, war vielleicht auch nicht Connies beste Idee, selbst wenn er damit Vertrauen in dessen Fähigkeiten beweisen wollte. Statt einem gesicherten Dasein für die Brüder irgendwo auf dem Land winkt Nick nun die geschlossene Anstalt, und Connies Aussichten sind nicht weniger trüb, sollte auch er erwischt werden. Es sind vertraute Thriller-Elemente, mit denen die US-Regisseure Joshua und Ben Safdie ihren Film in Fahrt bringen. Der scheiternde Raub und die folgende Orientierungslosigkeit in den Straßen von New York rufen entfernt Erinnerungen an die einschlägigen Werke von Martin Scorsese, Sidney Lumet oder William Friedkin wach. Doch die Safdies haben mit dem „New Hollywood“-Stil so wenig am Hut wie mit Hochglanzgauner-Filmen à la „Ocean’s Eleven“ (fd 35 218). Wie schon in ihrem Drogendrama „Heaven Knows What“ (fd 43 867) stehen die Regisseure für kompromisslos raues, sprödes Independent-Kino, das Konzentration fordert und einfache Auflösungen verweigert. Kameramann Sean Price Williams fängt Gesichter in fast schmerzhaften Nahaufnahmen ein, die jedes unattraktive Detail zeigen. Ihre Unruhe spiegelt sich in der hohen Schnittfrequenz, die Bilder flackern mitunter wie Neonlichter. Dazu spart „Good Time“ sich jede verbindliche Ausleuchtung von Hintergründen oder eine Wertung der Figuren. Ihr Verhalten steht für sich, ohne psychologische oder soziologische Verankerung. Die Frage nach Ursachen, etwa von Connies krimineller Energie, wird vermieden. Ein Zugeständnis an narrative Erwartungshaltungen stellt immerhin die klare Zielrichtung des Protagonisten dar. Connie will seinen Bruder um jeden Preis aus dem Gefängnis holen, wo dieser durch seine Hilflosigkeit besonders gefährdet ist. Seine erste Hoffnung ist die Kaution, doch der größte Teil des geraubten Geldes ist unbrauchbar. Den Rest kann Connie unmöglich selbst aufbringen; nach zähen Verhandlungen mit seiner Freundin versagt deren Kreditkarte. Nick auf legalem Weg noch am gleichen Abend herauszuholen, steht damit außer Frage. Dafür eröffnet sich eine andere Option: Nick scheint wegen Verletzungen in ein Spital gebracht worden zu sein, aus dem sein Bruder ihn nun entführen will. Mit Straßenschläue und dem Mut der Verzweiflung dringt Connie in das Krankenhaus ein und kann es mit einem bandagierten und ruhig gestellten Begleiter auch wieder verlassen. In einem entscheidenden Punkt hat er sich allerdings vertan; so ist dies erst der Anfang einer Odyssee durch das nächtliche New York, bei dem sich Connie von einer vagen Hoffnung zur anderen ziehen lässt, um seinen Bruder zu retten und mit ihm zu entkommen. Der überwiegende Teil des Films umfasst dieses stundenlange, nur von wenigen Verschnaufpausen unterbrochene Rennen gegen die Zeit, das durch die pulsierende elektronische Musik von Oneohtrix Point Never auch für den Zuschauer zur intensiven Erfahrung wird. Sowie durch einen fantastischen Hauptdarsteller. Paradoxerweise hat Robert Pattinson noch nie so gelöst und locker gewirkt wie in der Rolle des angespannten Möchtegern-Gauners Connie. Mit hochenergetischem Spiel befördert er ihn zur Identifikationsfigur, deren Eifer und Empathie für den Bruder sympathisch sind, während er ansonsten keine Rücksicht auf andere nimmt. Wenn der Plot Connie auf eine zusehends groteske Jagd nach ersehnten Geldschätzen schickt, die er irgendwo in New York versteckt wähnt, führt der Film in Gegenden der Metropole, die sonst im Kino wenig zu sehen sind. Der Blick auf die Armen und Abgehängten in den USA bleibt allerdings weitgehend frei von Anklagen; die konkretesten Ansätze von Gesellschaftskritik gehören sogar zu den schwächeren Passagen von „Good Time“. Weiter führt es da, sich einfach an die Fersen der Hauptfigur zu heften und auf Connies unvorhersehbarem Kurs seine ganz persönliche Ernüchterung mit dem amerikanischen Traum mitzuerleben: Viel Wille zaubert noch lange keinen Weg zum Erfolg hervor.
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