Von der im engsten Sinne lebensrettenden Kraft der Kunst erzählte der große Ernst Lubitsch 1942 in „Sein oder Nichtsein“ (fd 9062): Polnische Bühnenschauspieler, engagierte Antifaschisten, sahen sich genötigt und befähigt, in die Rollen von Nazis zu schlüpfen, um die Identitäten von Widerständlern zu schützen.
Markus Thebe, Philipp Weinges, Günter Knarr und Franziska Meletzky, das Quartett hinter dem Drehbuch von „Vorwärts immer!“, erweisen nun Lubitschs Klassiker bis in die Plot-Details die Ehre, ohne diesen je allzu plump zu zitieren. Doch vieles lässt sich wiedererkennen: die geplante, riskante Protestinszenierung gegen die herrschende Ordnung etwa. Die Eifersüchteleien zwischen den Schauspielern. Und die grundlegende Idee, dass es am Habitus, an der Ästhetik der Gegenspieler irgendetwas gebe, das zur Nachahmung herausfordert.
Gerade diese zweifelhafte Ehre wurde den Apparatschiks der sterbenden DDR bislang in der an Ost-Komödien nicht eben armen deutschen Kinolandschaft nicht zuteil. Ihr Image verklemmter Bürokraten ließ sie als Sinnbild einer ausgesprochen reizarmen staatlichen Struktur erscheinen, die sie erschufen und von der sie gleichzeitig erschaffen wurden. Jörg Schüttauf, ein renommierter DDR-Schauspieler, soll im Film als renommierter DDR-Schauspieler Otto Wolf einen geläuterten Erich Honecker spielen – die Hauptrolle in einem Bühnenstück, das sich mit den Demonstranten des Jahres 1989 solidarisiert. Schüttauf spitzt als Doppelgänger den Staats- und Parteichef in seinen Macken lediglich zu: näselnd bis in die Atemnot, nuschelnd bis zur Unkenntlichkeit, im Übrigen fest unter dem Pantoffel seiner Frau Margot. Der biedere Honecker erfährt eine Imitation, die bisweilen ins Alberne gleitet, mithin eine Forcierung des hinlänglich Bekannten – wohingegen die schillernden Barbaren des Faschismus stets genug ästhetisches Material lieferten, um ihre pompösen Auftritte variieren, verzerren, neu interpretieren zu können.
So aber näselt sich Otto Wolf von einer heillosen Verwicklung in die nächste. Seine Tochter Anne ist schwanger und will ihr Kind im Westen zur Welt bringen. Doch der Kumpel, der sie mit einem neuen Pass versorgen soll, muss für diese riskante Aufgabe nach Leipzig und besteht auf der Teilnahme an der am Abend stattfindenden Montagsdemo. Daheim in Berlin munkelt man, Honecker habe dieses Mal einen Schießbefehl erteilt. Und weil dieser Befehl nur über die „interne Dienstleitung“ im Herzen des Politbüros rückgängig gemacht werden kann, werfen sich Wolf, der von der geplanten Republikflucht seiner Tochter eigentlich gar nichts hält, und bald auch der Rest des Ensembles in die Kostüme ihres Stücks, um zu retten, was noch zu retten ist.
Franziska Meletzky, die den Stoff inszeniert und mit dem Fernsehfilm „Verräter – Tod am Meer“ jüngst eine weitaus ernstere Aufarbeitung des Fluchtthemas gedreht hat, gibt sich hier durchaus der Lust an der Eskalation hin. Sie quetscht das komische Potenzial aus Verwechslung und Entlarvung gnadenlos aus, wobei sie sich von historisch-moralischen Bedenken kaum bremsen lässt. Mancher Slapstick-Moment, wenn etwa ein verwirrter Otto als Honecker die Treppe im Foyer des Staatsratsgebäudes hinunterpurzelt, verfehlt sein Ziel: Die bürokratische Steifheit von Ort und Personen mit ein wenig Körperkomik aufzumischen, wirkt hier schlicht albern. Insgesamt aber gelingen Meletzky eine Leichtigkeit und ein Tempo, das gerade in historisch kontextualisierten Erzählungen selten ist.
Doch Leichtigkeit ist angesichts des Themas gewiss nicht alles. Meletzky lässt für ein paar Einstellungen bedrohlich die Panzer rollen, schwarzer Stahl auf grauem Beton, Tötungsdinger ohne menschliches Antlitz, ohne menschlichen Anteil. Ihr Film macht zumindest einen Vorschlag, wem zu danken wäre, dass sie damals nicht zum Einsatz kamen.