Jonas Verweigerung, ihre Abiturprüfungen zu absolvieren, kommt bei ihrer Mutter nicht gut an. Der Streit ist vorprogrammiert, und beim ersten Anzeichen reißt die Berlinerin aus. Jetzt muss eine Unterkunft her. Doch trotz großer Anpassungsbereitschaft klappt es nicht mit einem WG-Zimmer. Zudem sperrt ihr die Mutter das Konto. Da schlägt ihr ihre blinde Cousine eine Art Ausweg vor. Falls sie es schafft, sich in die Welt der Sehbehinderten einzufühlen, könnte sie sich doch um ein Zimmer in einem Blindenwohnheim bewerben.
Jona erweist sich schnell als begabte Schülerin. Gleich der Erste, dem sie den Zustand der Blindheit vorspielt, fällt auf den Betrug herein. Ferdi fühlt sich von Jona, die ihn auf einer Brücke von einem Selbstmordversuch abbringt, magisch angezogen. Schließlich kann sie ihn nicht sehen, und damit auch nicht seine abgrundtiefe Hässlichkeit, von der er zutiefst überzeugt ist.
Der neurotische Streuner wird nicht nur von einem massiven Selbsthass geplagt. Trotz langjähriger Therapie und betreutem Wohnen stolpert er voller Selbstmitleid durch einen Alltag, der überwiegend aus selbstverschuldeten Konflikten und absurden Streitgesprächen besteht. Erst die Begegnung mit der scheinbar weitaus verloreneren Jona bringt etwas Ruhe in seine labile Befindlichkeit. Wäre da nicht ihr Wunsch nach körperlicher Nähe, auf den der bindungsscheue Fredi mit panischen Fluchtreflexen reagiert.
Regisseur und Hauptdarsteller Tom Lass bleibt auch in seinem dritten Spielfilm dem bewährten Konzept aus Improvisation, Handkamera, Figurennähe und Verdichtung der Handlung durch emotional getaktete Schnitte treu. Dabei kommt der in einer Rückblende erzählte Anfang beinahe ohne Dialoge aus. Eine leichtfüßige Anreihung aussagekräftiger Situationen etabliert dabei atmosphärisch gekonnt die exzentrischen Figuren und setzt ihr Krisenpotenzial komödiantisch ein. Das ist ungemein filmisch und höchst spannend erzählt. Der Humor lebt von den Eigenheiten der Charaktere und einer liebevollen Satire auf Helferberufe: von der strengen Jugendtherapeutin über die Gruppendynamik-begeisterten Sozialarbeiter bis zu den Wohnheimleitern, die das Handicap ihrer blinden Schützlinge für ihre sexuellen Bedürfnisse ausnützen.
In der zweiten Hälfte wird die „Wahrhaftigkeit“ der Handlung allerdings durch die überflüssige Figur eines psychopathischen Clubbesitzers strapaziert, der seine Mitarbeiter, zu denen unter anderem auch Jona gehört, mit Wutattacken terrorisiert und das Glück des fragilen Paars intrigant zu zerstören versucht. Den „feministischen“ Showdown, in dem Jona als plötzlich sehende Baseballschläger-Amazone triumphiert, nimmt man zwar etwas ratlos als künstlich befeuerten Drama-Wendepunkt zur Kenntnis. Das Wiedersehen mit den vielen Naturtalenten und lustvoll schauspielernden Freunden des Regisseurs, darunter Eva Löbau, Axel Ranisch, Karin Hanczewski, Martina Schöne-Radunski, Robert Gwisdek und die Brüggemann-Geschwister, sowie die wunderbare Neuentdeckung Naomi Achternbusch als Jona möchte man in ihren markanten Auftritten dennoch nicht missen. Das hat beinahe schon etwas von der über Jahre treuen Familie eines Ingmar Bergman, wenn auch in einem gänzlichen anderen Kino-Universum.