Die guten Feinde
Dokumentarfilm | Deutschland 2017 | 93 Minuten
Regie: Christian Weisenborn
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- Kick Film
- Regie
- Christian Weisenborn
- Buch
- Christian Weisenborn
- Kamera
- Roland Wagner · Marcus Winterbauer
- Musik
- Dieter Dolezel
- Schnitt
- Wolfgang Grimmeisen
- Länge
- 93 Minuten
- Kinostart
- 27.07.2017
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Dokumentarisches Porträt des Dramatikers und Widerstandskämpfers Günther Weisenborn
Die Erinnerung färbt manches schön. Als Kinder, so Regisseur Christian Weisenborn, hätten sie von den dunklen Erinnerungen ihrer Eltern wenig mitbekommen. Sein filmischer Rückblick beginnt mit privaten Familienbildern: Schwarzweiß-Aufnahmen aus einer scheinbar glücklichen Zeit, Nachkriegsdeutschland aus der Perspektive der Nachgeborenen. Andere hätten ihre Väter kritisch gefragt, was die in jenen Jahren der NS-Herrschaft getrieben haben. Diese Frage stellte sich dem Filmemacher und seinem Bruder nicht. Denn ihr Vater war ein Held der 1968er- Bewegung: der Film- und Theaterautor Günther Weisenborn, Antifaschist und Widerstandskämpfer in der „Roten Kapelle“.
Jetzt aber begibt sich der Sohn auf eine Suche nach den Spuren des Vaters, anhand der Briefe, die er an seine Frau Joy aus dem Zuchthaus schrieb, über Tagebuchaufzeichnungen, offizielle und private Filmbilder und Fotos sowie mit Interviews mit Überlebenden und Hinterbliebenen der Widerstandsgruppe. Der Film erzählt aus dem privaten Raum heraus, wenn der Regisseur mit seinem älteren Bruder Sebastian Erinnerungen austauscht und oder die Mutter sich widerwillig zu einem Videointerview bereit erklärt; dabei wird deutlich, dass der Sohn seine persönliche Erinnerung an den Vater in einen größeren zeitgeschichtlichen Zusammenhang stellen will.
Vielschichtig zeichnet der Film politische und kulturelle Bewegungen beim Übergang von der Weimarer Republik in die Nazi-Diktatur nach. Er porträtiert eine Gruppe freiheitsliebender junger Menschen, denen es darum ging, die Welt über die Verbrechen des NS-Regimes aufzuklären. Der Name des Kreises um den Publizisten und Luftwaffenleutnant Harro Schulze-Boysen und dessen Ehefrau Libertas Haas-Heie, die „Rote Kapelle“, ist keine Selbststilisierung, sondern stammt von der Gestapo. Im September 1942 wurden insgesamt 120 Mitglieder der Gruppe verhaftet; Günther Weisenborn entkam dem Todesurteil nur knapp. 52 seiner Mitstreiter wurden noch im selben Jahr hingerichtet, unter ihnen seine engen Freunde Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack. Doch auch nach 1945 wurden Weisenborn und seine toten Freunde nicht rehabilitiert. Im restaurativen Klima des Kalten Krieges galten sie in ungebrochener NS-Diktion als „Vaterlandsverräter“.
Der zweite Teil des Films ist fast noch erschreckender als das Schicksal einer Widerstandsgruppe im NS-Regime, denn er handelt vom Umgang mit der braunen Vergangenheit: „Die junge Bundesrepublik war nicht bereit für die Aufarbeitung dieser Jahre“, summiert der Filmemacher und insistiert, wie wenig sein Vater und seine Freunde mit dem Totalitarismus stalinistischer Prägung zu tun gehabt hätten. Während die „Rote Kapelle“ in der Bundesrepublik als Handlanger Moskaus galt, wurde sie in der DDR für die kommunistische Propaganda missbraucht.
Bis zu seinem Tod 1969 versuchte Günther Weisenborn zusammen mit Adolf Grimme, ebenfalls ein Überlebender der Gruppe, den Ruf der ermordeten Freunde wiederherstellen und den verantwortlichen NS-Richter Manfred Roeder vor Gericht zu bringen. Der belieferte nach 1945 den US-amerikanischen Geheimdienst mit Informationen und amtierte am Ende seines Lebens 1971 als stellvertretender CDU-Bürgermeister in einer kleinen hessischen Gemeinde. Erst 2009 wurden die NS-Urteile gegen die „Rote Kapelle“ offiziell aufgehoben.
„Die guten Feinde – mein Vater, die Rote Kapelle und ich“ ist ein spannendes Stück Zeit- und Familiengeschichte, das sich spürbar gegen die kommerzielle Besetzung der Vergangenheit durch Retro-Kitsch zur Wehr setzt.