Drama | Türkei 2017 | 85 Minuten

Regie: Enes Hakan Tokyay

Zwei zehnjährige Jungen aus einem ostanatolischen Dorf verlieren bei einem tragischen Badeunfall ihren Freund. Als sie meinen, bei seiner Beerdigung den Hodscha mit dem Toten sprechen zu sehen, streben sie selbst den Beruf eines Geistlichen an, weil sie sich davon ein Zusammensein mit dem ertrunkenen Gefährten versprechen. Davor aber sind einige Hindernisse zu überwinden, die das Dorfleben gehörig durcheinanderbringen. Der Kinderfilm thematisiert unterschiedliche Formen der Trauerbewältigung und die Erfüllung scheinbar unerfüllbarer Wünsche. Dank einiger komödiantischer Motive kommt er dabei weit irdischer daher, als man vermuten mag. - Ab 10.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
MIRAÇ
Produktionsland
Türkei
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Galibarda Fikir Sanat
Regie
Enes Hakan Tokyay
Buch
Yasin Öksüz
Kamera
Enes Hakan Tokyay
Musik
Rafet El Roman
Schnitt
Enes Hakan Tokyay
Darsteller
Ufuk Bayraktar (Rifat) · Meltem Miraloglu (Nuran) · Arda Sahin (Yusuf) · Emircan Cal (Ali) · Oguz Oktay (Osman)
Länge
85 Minuten
Kinostart
25.05.2017
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 10.
Genre
Drama | Komödie
Externe Links
IMDb | TMDB

Sehenswerter türkischer Kinderfilm mit einer hohen Dosis Sentimentalität

Diskussion
Yusuf und Ali haben ihren besten Freund Ahmet beim Baden im Stausee verloren. Als sie den Hodscha bei der Beerdigung beobachten, wie er mit dem Toten spricht, wächst in ihnen der Wunsch, ebenfalls Geistliche werden, um dann wieder mit ihrem Freund zusammen zu sein. Mit einigen Tricks versuchen die beiden, sich dem Hodscha zu nähern und als Vorbeter akzeptiert zu werden, was nicht immer auf das Wohlwollen der Erwachsenen trifft, von der Dorfgemeinschaft aber mit Empathie begleitet wird. Was selbst noch dann gilt, als sie die Kuppel des Gebetshauses mit goldener Farbe anstreichen, damit die wie die al-Aqsa-Moschee strahlt und man mit einem Fabeltier darüber fliegen kann, wofür ein Esel aus dem Stall des Nachbarn gestohlen wird. Parallel dazu entwickelt Regisseur Enes Hakan Tokyay die Geschichte von Rifat, der sich in Yusufs Schwester Nuran verliebt hat, aber nicht rechtzeitig die Chance ergreift, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Jetzt steht Nurans Zwangsverheiratung bevor, was Rifat mit Hilfe der beiden Kinder verhindern möchte. Enes Hakan Tokyay, ein Absolvent der Hochschule für Medien in Stuttgart, kann bereits auf über 50 Regiearbeiten zurückblicken, darunter neben zahlreichen Werbefilmen auch einige Dokumentarfilme über türkische Landschaften, die aserbaidschanische Fernsehserie „Aydin“ und eine Doku-Serie über Frauen im Islam. Seine Erfahrungen in Naturfotografie, schlüssiger Dramaturgie und sozialer Beobachtungsgabe machen „Miraç“ trotz einer konventionellen, teilweise auch rührseligen Erzählweise zu einem sehenswerten Kinderfilm. Die ostanatolische Szenerie, in der das Dorf auf einem der kahlen Berge neben einem künstlichen Stausee liegt, wird von der Bildgestaltung umwerfend in Szene gesetzt, während sich das dörfliches Sittengemälde zwischen der Teestube unter dem riesigen Ölbaum in der Dorfmitte und der Moschee am Seeufer ganz unauffällig entwickelt. Das Leben im Dorf, in dem Frauen als Identifikationsfiguren komplett fehlen, wird allerdings ziemlich geschönt; ökonomische Schwierigkeiten scheint es in dieser kargen Landschaft so wenig zu geben wie sozialen Anpassungsdruck oder politische Machtspiele. Immerhin macht „Miraç“, dessen Titel vom Verleih auf „Die Himmelfahrt“ eingedeutscht wurde, Platz für einen pragmatischen Umgang mit dem Tod. Yusuf und Ali trauern um ihren verstorbenen Freund, aber sie verzweifeln nicht über dem Verlust. Sie tun alles, um dem Dritten in ihrem Bunde weiterhin nahe sein – und schaffen es am Ende auch. Dass die Wiederbegegnung mit dem verlorenen Freund reine Einbildung und während des Vollmonds obendrein arg kitschig ist, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Hier trifft die Magie des Kinos auf die Trauer der Sehnsucht. Auch Rifat gelangt schließlich an sein Ziel, seine Nuran zu freien. Eine flapsige Bemerkung der beiden Kinder, mitten in die Brautwerbung platziert, reicht aus, um die absurde Zwangsverheiratung abzuwenden: „Rifat lässt ausrichten, dass er Nuran liebt.“ Auch das ist vielleicht eher Wunsch als Realität. Doch wenn einige Szenen später Nuran mit der ganzen Wucht ihres ausgebreiteten Haarschopfes auf einem Felsen ruht oder mit Rifat zusammen auf den Stausee hinausfährt, ebenfalls ohne Kopftuch, bekommt der Film etwas Befreiendes. Und spricht unterschwellig davon, dass sich Religion und Selbstbestimmung doch nicht so ganz ausschließen, wie dies die vielen Sittenwächter immer behaupten.
Kommentar verfassen

Kommentieren