Porträt des Künstlers Joseph Beuys (1921-1986), der mit seinen häufig aus Fett und Filz gestalteten Installationen nicht nur die kulturelle Öffentlichkeit aufwühlte, sondern auch mit seinen politischen Interventionen für Aufsehen sorgte. Beuys’ ikonische Erscheinung und seine Streitbarkeit machten ihn zum begehrten Objekt der Medien, was der materialreiche, in einem langen Konzentrationsprozess entstandene Dokumentarfilm nutzt, um den „ganzen“ Beuys vorzustellen. Die collagenartige Gestaltung erzeugt eine große Unmittelbarkeit, die den historischen Abstand aufhebt und Beuys’ Werk ebenso wie seine Botschaft für die Gegenwart erschließt.
- Sehenswert ab 16.
Beuys
Dokumentarfilm | Deutschland 2017 | 107 Minuten
Regie: Andres Veiel
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- Zero One Film/Terz Film/SWR/arte/WDR
- Regie
- Andres Veiel
- Buch
- Andres Veiel
- Kamera
- Jörg Jeshel
- Musik
- Ulrich Reuter · Damian Scholl
- Schnitt
- Stephan Krumbiegel · Olaf Voigtländer
- Länge
- 107 Minuten
- Kinostart
- 18.05.2017
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm | Künstlerporträt
- Externe Links
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Heimkino
Materialreicher Dokumentarfilm über den "ganzen" Beuys.
Diskussion
Ende der 1960er-Jahre sitzt Joseph Beuys gemeinsam mit dem rechtskonservativen Soziologen Arnold Gehlen auf einem Podium. Gehlen möchte den Künstler als Scharlatan desavouieren und greift Beuys’ Skulptur „The pack (Das Rudel)“ an. Warum der Künstler eine Reihe von Schlitten genommen habe, fragt Gehlen, warum nicht Kinderwagen? „Die Kinderwagen überlasse ich Ihnen. Vielleicht können Sie was Interessantes daraus machen“, kontert Beuys. Kurz darauf wird er angesichts der Fixierung aufs Ästhetische sogar wütend: „Werfen wir die Kunst doch aus dem Fenster. Diskutieren wir über Politik!“
Gut 30 Jahre nach seinem Tod ist der politische Beuys weitgehend aus dem Blick geraten. Dabei betrachtete Beuys, ganz im Gegensatz zu seinem Antipoden Andy Warhol, die Wirkung in die Gesellschaft hinein als Kernaufgabe der Kunst. 1972 verlor er seine Professur an der Düsseldorfer Kunsthochschule, weil er Studenten, die das Zulassungsverfahren nicht geschafft hatten, in seine Klasse aufgenommen und zweimal zur Besetzung des Sekretariats aufgerufen hatte. Ebenfalls zwei Mal kandidierte er für den Bundestag, zuletzt 1983 für „Die Grünen“. Da ihm ein sicherer Platz auf der Landesliste verweigert wurde, sah sich Beuys zum Rückzug aus der Politik gezwungen.
Man könnte Beuys’ Engagement marginalisieren und über seine Gesellschaftskritik hinweggehen. Dann bliebe nicht viel mehr als die ikonische Figur des Mannes mit Filzhut und Anglerweste übrig, ein paar Sprüche, das Wissen um seine Lieblingsmaterialien Fett und Filz und eine – immerhin – faszinierende Reihe an Zeichnungen, Multiples, Skulpturen und Installationen.
In seinem Filmporträt „Beuys“ zeigt Andres Veiel den ganzen Beuys, indem er den Künstler außerhalb der Komfortzone mehr oder weniger kryptischer, womöglich gerade deshalb sakrosankter Kunstwerke ernstnimmt. Der Film ist das Resultat eines langjährigen Prozesses des Destillierens und Umpflügens: Sequenzen, in denen Veiel Skulpturen und Installationen gefilmt hatte, wurden ebenso verworfen wie zahllose Interviews mit Weggefährten, die Veiel zu sehr ins Anekdotische abdrifteten.
Fünf Zeitzeugen haben es am Ende in den Film geschafft: Der Künstler Klaus Staeck, der mit Beuys ab Mitte der 1970er-Jahre auf Reisen durch die USA begleitet hat. Johannes Stüttgen weiß als ehemaliger Beuys-Schüler einiges über den Professor zu berichten. Franz Joseph van der Grinten sammelte früh seine Werke und erlebte den Zusammenbruch des Künstlers Ende der 1950er-Jahre sowie dessen Weg aus der Krise hautnah mit. Die Kunsthistorikerin Rhea Thönges-Stringaris arbeitete mit Beuys während der documenta und bei den Grünen zusammen, die Kritikerin Caroline Tisdall hat sich der Deutung von Beuys’ Werk verschrieben.
Vor allem aber setzt Veiel konsequent aufs historische Material: Beuys redet, macht Witze, streitet. Statt Werke abzufilmen, zeigt Veiel die Kunst in ihrer Entstehungszeit, in ihrem performativen Kontext. Mittendrin: Beuys in Aktion. Durch geschickte Collage von Bildern und Tönen erzeugt die Inszenierung eine Unmittelbarkeit, die mitunter den historischen Abstand vergessen macht. Beuys, so die Botschaft, hat uns noch viel zu sagen.
Besondere Berücksichtigung erfährt dessen Aktion „7000 Eichen“, die 1982 auf der documenta 7 vorgestellt und 1987, zur documenta 8, dann abgeschlossen wurde. Mithilfe einer imponierenden Zahl an freiwilligen Helfern pflanzte der Künstler mehrere tausend Bäume zusammen mit jeweils einem Basaltstein an verschiedenen Standorten in Kassel. Die Intervention hat den urbanen Lebensraum verändert und ist ein Paradebeispiel für den erweiterten Kunstbegriff, den zu propagieren Beuys nicht müde wurde.
Veiel hat immer wieder betont, dass Beuys’ Kapitalismuskritik eine zentrale Motivation für den Film war. Doch ist die Finanzkrise von 2007/08 und Veiels Re-Lektüre von Beuys’ Kunst vor diesem Hintergrund eher zu ahnen als am Film abzulesen. Vielleicht ist das Thema der Geldströme schlicht zu abstrakt, vielleicht waren die kritischen Anmerkungen des Künstlers zum Thema auch zu sporadisch gesät und zu sperrig formuliert. Rudi Dutschkes Diktum, dass Beuys „glänzend in der Kunst und unwissend in der Ökonomie“ gewesen sei, darf nun allerdings bezweifelt werden. Ebenso schwindet mit „Beuys“ der Verdacht, dass Kunst und Politik sich nicht miteinander vertragen. Joseph Beuys weigerte sich, „das System mit Kunst zu dekorieren“. Der Künstler wollte stattdessen politisch mitgestalten. Ist Beuys gescheitert? Vielleicht. Doch seine Energie steckt noch heute an, eine Kraft, die auch in Veiels Filmporträt zu spüren ist.
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