Sieben Menschen zwischen 64 und 74 Jahren lernen in einem zehntätigen Intensivkurs schwimmen. Der Dokumentarfilm konzentriert sich auf die einzelnen Teilnehmer und ihre Geschichten, ausgehend von den Erlebnissen, die sie in den Kurs geführt haben. Die behutsam mit weichem Licht aufbereiteten Gespräche mit den Protagonisten und die Bilder vom Schwimmunterricht, von den kleinen Erfolgen und Misserfolgen, wechseln sich mit assoziativen Szenen ab, sodass das dichte, sensible Porträt einer Generation entsteht, das mit großer Sympathie Ängste wie auch Träume nachzeichnet.
- Ab 14.
Trockenschwimmen
Dokumentarfilm | Deutschland 2016 | 78 Minuten
Regie: Susanne Kim
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2016
- Produktionsfirma
- Neufilm
- Regie
- Susanne Kim
- Buch
- Susanne Kim
- Kamera
- Emma Rosa Simon
- Musik
- Manuel G. Richter · Luise Pop
- Schnitt
- Marion Tuor
- Länge
- 78 Minuten
- Kinostart
- 04.05.2017
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Behutsamer Dokumentarfilm über sieben Menschen zwischen 64 und 74 Jahren in einem Schwimmkurs
Diskussion
Louis hat Angst. Sein Name steht, senkrecht mit Edding geschrieben, auf dem weißen Streifen in der Mitte seiner Bademütze. Er hat eine Höllenangst vor dem Wasser. Er ist wirklich klein, vielleicht vier Jahre alt, und er schafft es, seine Angst zu überwinden. Doch was ist, wenn man erst im Alter schwimmen lernt? In Susanne Kims „Trockenschwimmen“ trauen sich fünf Frauen und zwei Männer zwischen 64 und 74 in das fremde Element.
Das Schwimmbad in Leipzig ist blau gekachelt, die Sonne scheint durch die großen Fenster. Für zehn Tage kommt die ungewöhnliche Gruppe nun hier zusammen, sie ist im Hotel untergebracht. Am Ende der Zeit wollen alle schwimmen können. So wie sich die sieben ans Wasser herantasten, tastet sich die junge Regisseurin an deren Geschichten heran. Am Anfang kreist sie um die Frage: Warum jetzt noch schwimmen lernen? Welchen Ängsten stellt man sich damit? Vielleicht auch der Angst vor dem Tod? Nein, antwortet die ungeheuer offene Moni: „Schwimmen lernen heißt leben lernen.“
Moni liegt auf ihrem Bett im Hotelzimmer, sie probiert ihren Körper aus in dem neuen Badeanzug für den ersten Kurstag, mit der extravaganten Bademütze: Über und über mit bunten Prilblumen besetzt. Susanne Kim und ihre Kamerafrau Emma Rosa Simon inszenieren die Körper, die ja oft fast nackt zu sehen sind, in einem David-Hamilton-Licht, legen einen zärtlichen Weichzeichner über die Schwimmhalle, die Arme, Beine, Badekleider und Gesichter. Hier geht es nicht um harte Konfrontation, es geht um Annäherung, Auseinandersetzung. Der Film folgt weiterhin einer Bewegung der Teilnehmer: Das Eintauchen ins Wasser, das unvermeidliche Untertauchen, bedeutet auch ein Erinnern an verkrustete, verdrängte Ängste, das Eintauchen in die Vergangenheit, eine Reise weit zurück, oft bis in die Nachkriegskindheit.
Manfred wuchs in den Bergen auf. Der Vater brachte der Schwester noch das Schwimmen bei, in dem Schwimmbad der nahen Stadt. Dann kam er nicht zurück aus dem Krieg. Nun ist Manfred ein Segler, der nicht schwimmen kann. Manchmal, wie bei Sigrid oder Erika, steckt auch ein richtiges Trauma hinter der Furcht vor dem Wasser, die häufig, wie Analphabetismus etwa, ein Leben lang versteckt wurde. Surreale Bildwelten fassen das Seelenleben der Protagonisten: Super 8-Aufnahmen vom Urlaub am Meer, Unterwasserszenerien von Fischen, Krakenarmen und Korallen – gelegentlich in visuell assoziativer Verknüpfung. Auf die roten, im Meer wogenden Korallen folgt Monikas rotgelocktes Haar, Erikas vorsichtige Bewegungen unter Wasser werden mit denjenigen der Fische kurzgeschlossen. Hollywoods Wasserprinzessin Esther Williams schwimmt nach einer Bemerkung von Moni zu den berühmten, vergangenen Aqua-Musicals über die Leinwand, auf uns zu. Und die Regisseurin lässt die Teilnehmer ihre Ängste tanzen, nach sehr gelungenen Choreografien von Heike Hennig. Natürlich geht es auch ums Älterwerden: Den Vorteil daran, sagt Moni, „habe ich, ehrlich gesagt, noch nicht entdeckt“.
Behutsam kommt Susanne Kim den von ihr porträtierten Menschen sehr nahe. Fünf von ihnen stehen im Fokus – vier Frauen und ein Mann, Manfred. Passagen aus seinem Tagebuch strukturieren seine Tage, die er dort auch bewertet – sachlich, deutsch, irgendwie rührend und männlich-unbeholfen, gerade im Kontrast zu den Frauen, denen es wenigstens in diesem Rahmen offenkundig sehr viel leichter fällt, ihre Gefühle und über die alltägliche Lebensverwaltung hinausgehende Gedanken zu artikulieren. Oder auch ihre ganz akute Abneigung gegenüber den gutgemeinten, mitunter küchenpsychologisierenden Ratschlägen des Schwimmlehrers.
Männerträume, Frauenträume, geplatzte Träume, erfüllte Träume und der Sprung ins kalte Wasser: Es entsteht auf diese Weise das liebevolle, charmante, melancholische, humorvolle Portrait einer Generation, das, ganz nebenbei, auch das geteilte Deutschland in den Blick nimmt. Ängste sind von Träumen manchmal gar nicht so weit entfernt.
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