Das Kino ist, darauf weisen Filmwissenschaftler seit Jahren hin, an seinen Ursprung zurückgekehrt: Die Attraktion, das Spektakel wuchert in der Fantastik über jede Wendung des Plots hinaus. In einem hochgezüchteten Unsinn wie beispielsweise „Warcraft“
(fd 43 965) erstrahlte eine Anderswelt in so schrillen, hysterischen Farben und einer so unwirklichen Dynamik, von den Milieus ganz zu schweigen, dass zumindest die ersten Sequenzen als Animationsfilm klassifiziert werden müssten.
Mamoru Oshiis Anime „Ghost in the Shell“
(fd 32 343) nach einem Manga von Masamune Shirow stammt aus dem Jahr 1995. Der knapp zehn Jahre später veröffentlichte Nachfolger „Innocence“
(fd 37 657) ließ noch nichts davon ahnen, auf welche Weise der digitale Fortschritt sich tatsächlich ins Kino einschreiben würde. Obwohl man in diesen Filmen schon sehr viel über Einzigartigkeit und Kopie sprach, über Bewusstsein und Identität, Mensch, Maschine und Code. Ein digitales Wesen wollte im ersten Film mit dem Geist einer Cyber-Polizistin verschmelzen; ihr Körper versprach diesem „Puppet Master“ eine neue Vielfalt – Fortpflanzung in Variation statt bloße Verdopplung. Die damalige Zukunft sah bisweilen verdammt romantisch aus.
Heute zeigt sich diese Zukunft in grellstem Neonkitsch. Die japanische Megacity, deren Name im Remake nie genannt wird, ist eine atemberaubende Projektionsfläche der Virtualität, eine Fata Morgana aus Hologrammen, Leuchtschriften und spiegelndem Glas, ein Moloch, der nachts zu feurig-buntem Leben zu erwachen scheint, tagsüber aber damit enttäuscht, dass noch Flecken von Grau, von Beton, von Wirklichkeit in seinen Nischen zu finden sind.
Hier jagt eine multikulturelle Einsatztruppe einen besonders gefährlichen Hacker, der es auf die Gehirne und leiblichen Hüllen von hochrangigen Mitarbeitern einer Robotik-Firma abgesehen hat. Auch Major Mira, Prototyp und Heldin unter den Ermittlern, stammt fast vollständig aus deren Labors. Lediglich ihr Bewusstsein ist noch menschlich, der Rest eine mehr oder weniger geschlechtslose, technisch perfektionierte Waffe.
Doch je näher Mira dem geheimnisvollen, furchteinflößend mächtigen Attentäter kommt, desto nagender werden ihre Zweifel, ob die Geschichte ihrer eigenen Vergangenheit wirklich die ist, die ihr erzählt wurde. Hat nicht die Firma in Gestalt der scheinbar vertrauten Ärztin Dr. Ouélet, besser: ihrer Projektbetreuerin, Zugriff auf ihre Gedanken und Erinnerungen? Was bedeutet die Hütte, die sich immer wieder vor ihr inneres Auge schiebt?
Für diese fundamentale Identitätskrise findet das Drehbuch von Jamie Moss, das in wesentlichen Punkten von der Vorlage abweicht, eine Lösung, die auch das Problem des „Whitewashing“ aufgreift, den Vorwurf, dass die kulturellen und ethnischen Traditionen durch die Besetzung von Scarlett Johansson in der Titelrolle einer Japanerin verfälscht würden.
Ohnehin erzählt dieses Remake am intensivsten mit seinen Oberflächen: mit der gigantomanischen Stadtarchitektur wie den gestalterischen Details einer vollständig vernetzten Welt, in der sich immer wieder der Code und seine beinahe pointilistischen Reihungen wie eigene Entitäten in den Raum stellen. Und mit den Körpern einer biotechnologischen Zukunft, in der Prothesen und sogenannte „Enhancements“ die Grenzen zwischen Mensch und Roboter aufweichen.
Vielleicht sprechen die metallischen Greifarme, die unvermittelt aus fleischlichen Torsi ragen, und die kaum münzgroßen schwarzen Sensoren, die Miras schwer verletzter Kollege Batou nach einer Explosion anstelle seiner Augen eingesetzt bekommt, von einer Zukunft, in der sich Verschiedenheit offensiver zur Schau tragen lässt als in der ressentimentgeladenen Gegenwart.
Oder all dies mündet in den Horror einer neuen, kapitalistisch kontrollierten Monstrosität als Kehrseite eines ebenso neuen Bildes von Perfektion. Die Möglichkeiten, so sagt es ein neues Wesen am Ende des Films, sind grenzenlos.
Sicher scheint nur, dass unsere Fantasien ein Spektakel heraufbeschwören, dem die cinematografische Effekttechnologie mittlerweile gewachsen ist. Die Zukunft hat uns eingeholt.