Es ist kein Zufall, dass der Titel des dritten Films um Wolverine (nach „X-Men Origins: Wolverine“
(fd 39 292) und „Wolverine – Der Weg des Kriegers“
(fd 41 830)) nicht mehr den Namen des X-Men-Superhelden mit den fantastischen Selbstheilungskräften und den Adamantium-Krallen verwendet, sondern dessen menschlichen Namen: In den „Old Man Logan“-Comics, auf die der Film von James Mangold lose aufbaut, hat sich Logan von seiner X-Men-Identität verabschiedet, da in der dystopischen Welt der Reihe kein Platz mehr für Superhelden ist. Die Guten sind nahezu ausgerottet, die Superschurken haben die Weltmacht an sich gerissen.
Der Film „Logan“ kreiert eine ähnliche endzeitliche Stimmung, wenn auch mit Abweichungen: Da viele Figuren, die im Comic eine wichtige Rolle spielen, in der Filmwelt nicht zum „X-Men“-Kosmos von Twentieth Century Fox, sondern zu Disneys „Marvel Cinematic Universe“ gehören, muss „Logan“ notgedrungen auf sie verzichten.
Was sich Drehbuchautor Scott Frank stattdessen einfallen ließ, wirkt allerdings nicht wie eine Notlösung, sondern führt die „Filmgeschichte“ der Wolverine-Figur stimmig fort: Die Bösen sind keine übermenschlichen Fieslinge, sondern das gar nicht so unrealistische „Corporate Evil“ in Gestalt skrupelloser Konzern-Chargen, für die Menschen und Mutanten bloßes Material darstellen, das im Sinne der eigenen Gewinn- und Kontrollsucht ohne ethische Skrupel missbraucht werden darf.
Dass die Handlung an der Grenze zwischen den USA und Mexiko angesiedelt ist und als heroischste Figur zunächst eine mexikanische Krankenschwester eingeführt wird, die sich mutig gegen den Konzern stellt, während sich Logan nur um seinen eigenen Kram kümmern will, ist in Trump-Zeiten ein schöner Twist. Bei den Abenteuern, in die sich der ehemalige X-Man dann doch verwickeln lässt, hat er den alt und gebrechlich gewordenen Professor X, der seine telepathischen Kräfte nicht mehr kontrollieren kann, an der Seite. Dies führt nicht nur die Geschichte der Freundschaft zwischen den beiden gegensätzlichen Figuren auf anrührende Weise fort, sondern gibt dem Ganzen eine ungewohnt melancholische Note mit auf den Weg.
Gleichwohl ist auch „Logan“ zuallererst ein Actionfilm, und zwar ein ziemlich ruppiger und blutiger. Zwar schwinden Logans Kräfte, weshalb er mit Professor X nur noch einem friedlichen Ende entgegensehen will, doch dann fährt er noch einmal die Krallen aus. Grund dafür ist ein ebenso bedrohtes wie bedrohliches Mutanten-Mädchen. Zusammen mit Leidensgenossen wurde es von einem Konzern künstlich gezüchtet und als menschliche Waffe herangezogen, bis es die mitleidigen mexikanischen Pflegerinnen, die der Konzern für die Aufzucht angestellt hatte, aus den Labors befreiten. Nun wird die Kleine von den Schergen des Konzerns gejagt, findet in Logan jedoch einen zunächst widerwilligen, dann aber immer engagierteren Schützer.
Als filmische Referenzgröße zitiert „Logan“ George Stevens’ Western-Klassiker „Mein großer Freund Shane“ (1953, (fd 2607)). Einmal sieht man, wie sich Professor X den Film zusammen mit der kleinen Mutantin anschaut, ein anderes Mal wird die „Shane hilft bedrohter Familie gegen bösen Großgrundbesitzer“-Geschichte mit Wolverine, einer Farmerfamilie und einem übergriffigen Agrarkonzern nachgespielt. Im Gegensatz zu Shane gelingt es Logan freilich eher schlecht als recht, seinen Schützling und die Familie aus den Gewaltstrukturen, die Recht und Ordnung ausgehöhlt haben, herauszuhalten. Die Gegner, die selbst über keine übermenschlichen Kräfte, aber über viel Geld, politischen Einfluss und Technologie verfügen, sind auch für Wolverine eine Nummer zu groß.
Die Szenen, in denen das Kind, um sich selbst zu schützen, seine „Bestimmung“ als tödliche Waffe erfüllt, sind noch unangenehmer als die, in denen sich der zunehmend erschöpftere Logan durch feindliche Körper sticht, fetzt und schneidet. Die physische Wucht der Kampfszenen hebt sie deutlich von „sauberen“ Materialschlachten anderer Superheldenfilme ab. Die in „Mein großer Freund Shane“ in Aussicht gestellte Hoffnung, dass „die Waffen im Tal schweigen“, wenn der Held den Tag rettet und sich selbst aufopfert, klingt da nur noch als trauriges Echo nach.