Zwei Jungen treffen sich im Dunkel einer öden Garage, begrüßen sich freundschaftlich und gehen gemeinsam in den hellen Tag hinaus. Mit dem nächsten Filmschnitt befinden sich die beiden schon auf Fahrt, unterlegt mit dem Song „My life is starting over again“. In Großaufnahme fängt die Kamera das freudig erregte Gesicht Martins ein, aus dessen Seele der Wunsch nach Neuem erklingt. Dabei wurde der Junge von seinem Vater mit einer heiklen Aufgabe betraut. Er muss nach dem Tod des Großvaters in den Süden Brasiliens reisen. Dort soll er der Lebensgefährtin des Toten ein Dokument abnehmen, in dem es wohl um den Besitz des Großvaters geht. Doch fernab der Autorität des Vaters kann sich das Fühlen und Denken des Jungen freier entfalten; er entdeckt ungewohnte Seiten an sich.
Die Adoleszenzgeschichte setzt zu Beginn ein hoffnungsfrohes Zeichen. Der Aufbruch der beiden Jungen in unbekannte Gefilde soll keine Irrfahrt werden, sondern ein Aufstieg zur Klarheit, ungetrübt von zermürbenden Auseinandersetzungen mit Vätern oder Müttern. Dazu geleitet der Film den Protagonisten Martin in eine raue, menschenleere Gegend und stellt ihm den gleichaltrigen Tomaz zur Seiten. Der ist der sensiblere Part des Gespanns. Oft sitzt er einfach da, zeichnet in sein Skizzenbuch, bildlich in intime Ecken gerückt. Tomaz hört dem Freund zu, wartet geduldig auf ihn, während Martin die Abwechslung sucht, sich nach Liebesabenteuern ersehnt und Party machen will.
Doch in der ruhigen, aufmerksamen Atmosphäre, die der Freund ausströmt, öffnet sich der fremdbestimmte, unternehmungslustige Junge. Er lässt sich auf das Experiment der Selbsterkundung ein. Die exzellent geführte Kamera verweilt immer wieder auf beiden Gesichtern, registriert feinste Regungen, zeichnet die Unsicherheit nach, wie man dem anderen begegnen soll, imitiert durch Unschärfen den schwimmenden Zustand dieses Lebensalters.
Man erfährt, wie der autoritäre Vater Martins Erkundungsdrang und Neugier bereits im Kindesalter erstickte. Er beschämte den Sohn, bestrafte ihn mit Prügeln und Hausarrest, weil er sich am Strand verlaufen hatte und von der Strandwache aufgelesen worden war. Seither macht sich Martin nie alleine auf den Weg. Als Zuschauer muss man diese Reise auch als väterlich diktierte Probe deuten. Inwieweit wird sich der Sohn als Mann im Sinne seines Vaters bewähren?
Zunächst scheint es, als würde Martin sich in dessen ausgetretenen Spuren bewegen. Aber untergründig wühlt eine Sehnsucht in ihm, die sich kontrapunktisch in der eingesetzten Musik, dem Sound des bewegten Sees und eines tönenden Windspiels Stimme verschafft. Tomaz stößt die Tür zu diesem noch Unbewusstem auf, wenn er anfangs sinnbildlich die Läden des Ferienhauses öffnet, so dass man das Rauschen des Meeres vernimmt. Für jede Selbsterfahrung werden dem Protagonisten zwei Anläufe gewährt; damit formt der Aufbau des Filmes diese Lebensphase buchstäblich als „zweite Chance“ nach: denn die Adoleszenz setzt kindliche Fixierungen in Bewegung, löst sie im besten Fall sogar ganz auf.
So wagt sich Martin nach dem ersten unerfreulichen Besuch noch einmal in das Haus des Großvaters und stellt in der zweiten Annäherung fest, wie er wirklich zu dem vom Vater ausgegrenzten Teil der Familie steht. Ebenso hinterfragt er seine sexuelle Orientierung, als ihm Tomaz offenbart, dass er schwul ist und ihm von seinem Coming-Out erzählt. Nachdem Martin betrunken Sex mit einem Mädchen hatte, verbringt er die nächste Nacht mit seinem Freund, jetzt ganz offen für den anderen. Das mag konstruiert erscheinen, ist aber konzentriert und bildlich stimmig, feinfühlig erzählt und organisch mit dem Symbol des stürmisch-frostigen Sees verwoben. Für den jungen Mann ist es eine Zitterpartie, ein Sprung ins kalte Wasser, sich dem Leben zu stellen und sich mit der väterlichen Macht zu messen. Doch von der Wucht ihrer Wellen lässt sich der Sohn nicht mehr überrollen.