Dokumentarfilm über einen spanischen Bauern, der mit seiner Familie im Hochland von Kastilien einen kleinen Hof bewirtschaftet. Doch die karge Landwirtschaft kann die Familie schon lange nicht mehr ernähren, weshalb die Ehefrau als Krankenschwester das Einkommen aufbessert. Der facettenreiche Film zeichnet den Ablauf eines Jahres nach, von der Aussaat bis zur Ernte und den verschiedenen Festen im Jahreszyklus. Dabei kommt er den Figuren nahe und hat Sinn für die historischen Traumata. Weder Loblied noch Abgesang, erzählt er von einer vielschichtigen Wirklichkeit und lotet mit Blick auf einen Mikrokosmos die gegenwärtige Misere des Landes aus. (O.m.d.U.)
- Ab 14.
Seit die Welt Welt ist
Dokumentarfilm | Österreich/Spanien 2015 | 103 Minuten
Regie: Günter Schwaiger
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Filmdaten
- Originaltitel
- DESDE QUE EL MUNDO ES MUNDO | SEIT DIE WELT WELT IST
- Produktionsland
- Österreich/Spanien
- Produktionsjahr
- 2015
- Produktionsfirma
- Mosolov-P/Günter Schwaiger Film
- Regie
- Günter Schwaiger
- Buch
- Günter Schwaiger
- Kamera
- Günter Schwaiger
- Musik
- Los Linces · Bence Boka
- Schnitt
- Günter Schwaiger · Martin Eller
- Länge
- 103 Minuten
- Kinostart
- 20.10.2016
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Dokumentarfilm über einen Kleinbauern im Hochland von Kastilien
Diskussion
Ein Schwein wird geschlachtet, Blut gerührt, Fleisch vom Knochen abgezogen und klein geschnitten. Ein Feuer flackert. Fast könnte man meinen, mitten in einem alten Ölbild zu sitzen. Doch der Alltag ist weit entfernt von jeder bukolischen Idylle. Das Leben auf dem Land ist hart und die Abläufe sind vorhersehbar. Ein Schwein wird geschlachtet, elf Monate später wird der Schinken gegessen. So ist das eben.
„Seit die Welt Welt ist“ ist ein Film über ein Jahr im Leben eines Bauern und seiner Familie im Norden Kastiliens. Gonzalo ist 55 Jahre alt. Er lebt mit seiner Frau Rosa und seinen drei erwachsenen Söhnen in Vadocondes, einem kleinen Dorf in der Nähe der Weingegend von Ribera del Duero. Er baut Wein an, auch Gemüse.
Gonzalo weiß, dass er und seine Familie auf langen Traditionen aufbauen; er weiß aber auch, das sich alles immer wieder ändert: „Wir haben das Leben nicht erfunden. Auch nicht unsere Art zu leben. Das Leben ist das Leben, seit die Welt Welt ist.“ Allerdings ist das Leben in der Landwirtschaft in den letzten Jahren nicht einfacher geworden. Gonzalo: „Hier ist es uns nie gut gegangen. Jetzt, da es allen schlecht geht, geht es uns allen gleich.“ Mit der politischen und wirtschaftlichen Krise Spaniens verschwinden ein bescheidener Wohlstand und eine gewisse Sicherheit, die frühere Jahre selbst der ländlichen Bevölkerung beschert hatten. Auch Gonzalo und seine Familie können von der Landwirtschaft nicht mehr alleine leben; Ehefrau Rosa trägt mit ihrem Job als Krankenschwester die Hälfte zum Familieneinkommen bei. Jetzt werden Fabriken und Betriebe im Umland geschlossen, die Arbeitslosigkeit steigt und besonders den jungen Menschen fehlt eine Perspektive. Das Dorf stirbt. Gerade noch 300 Einwohner leben hier, die Hälfte von ihnen sind Rentner, die Älteste ist 103 Jahre alt. Nur im Sommer füllen sich die Straßen und Plätze, da kommen die ehemaligen Bewohner mit ihren Familien zurück, sie besuchen ihre Eltern; wer keine Eltern mehr hat, bleibt eben in seinem Elternhaus. Aber mit dem Herbst und der Erntezeit kehrt die Stille wieder ein, das Dorf wirkt dann wieder wie ausgestorben.
Der Dokumentarfilm des in Spanien lebenden Österreichers Günter Schwaiger ist weit von einer Sozialanklage entfernt und will kein düsteres Krisendrama zeichnen. Er stimmt auch kein Loblied auf die bäuerliche Autarkie ab, sondern zeigt facettenreich den Ablauf der Jahreszeiten im Leben einer Familie. Es geht um Weinlese, Wildschweine und Wassermangel, aber auch um die kollektiven Traumata der Vergangenheit, wenn in der Nähe des Dorfs ein Massengrab aus dem spanischen Bürgerkrieg geöffnet wird und Gonzalo endlich seinen 1936 von Franco-Faschisten ermordeten Onkel beerdigen kann.
Der Film hebt hervor, dass keine Generation einfach nur das Leben der vorhergegangenen Generationen fortführen kann. Die Söhne von Gonzalo wollen weg. Der älteste, der einmal den Hof übernehmen soll, sinniert: „Wer weiß, was alles noch passieren wird...“ Auch Gonzalo erinnert sich, dass er erst spät den Wert mancher Traditionen erkannt hat. Sein Großvater hatte ihm eine kastilische „capa“ vererbt, einen schweren Umhang. Er war ein einfacher Mann und stolz darauf, seinem Enkel etwas vererben zu können. Aber Gonzalo hatte damals keinen Sinn für die Capa, weshalb das Erbstück des Großvaters als Bett für Hunde diente. Das habe ihn, sagt der Bauer, im Nachhinein doch sehr bedrückt.
Die Inszenierung bleibt sehr nah an den Protagonisten und erzählt von einer vielschichtigen Wirklichkeit. Im sorgsamen Blick auf Oberfläche lotet der Film in die Tiefe, erklärt über einen einfachen Mikrokosmos die Misere des gegenwärtigen Spaniens und vielleicht auch darüber hinaus.
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