Ein Plastikbecher mit den aufgeschriebenen Worten „Help me“ schwimmt auf dem Meer. In den folgenden Szenen werden die Hilferufe ausgefeilter und kunstvoller: Kleine Plastikboote aus Verpackungsmaterial, die von einer kleinen Insel aus aufs Meer geschickt werden, und sich in der Weite des Ozeans verlieren. In dieser tragischen Situation legt sich Hank (Paul Dano) einen Strick um den Hals, um seinem Leben ein Ende zu bereiten. Die Kamera fährt zurück und offenbart einen menschenleeren Strand einer anscheinend verlassenen Insel. Sein heruntergekommenes Aussehen und die verzweifelte Entscheidung zur Selbsttötung lassen darauf schließen, dass Hank hier schon einige Zeit verbracht hat. Genau in diesem Moment aber sieht er einen Körper (Daniel Radcliffe) im Sand liegen. Dann passiert etwas, mit dem man als Zuschauer nicht rechnet. Dem unerwarteten Hoffnungsschimmer wird wie in einem Musical dadurch Ausdruck verliehen, dass die Filmmusik – der beeindruckende Soundtrack stammt von Andy Hull und Robert McDowell – lautstark einsetzt und Hank inbrünstig singend zu Manni, so nennt er den Mann, schreitet. Doch schnell findet er heraus, dass dieser tot ist – oder vielleicht nicht so ganz...
Manni ist wie ein sehr fantasievolles übermenschliches Schweizer Taschenmesser. Er lässt sich als Jet-Ski verwenden, wodurch die beiden auf einer etwas größeren, aber weiterhin einsamen Insel Zuflucht finden, als Wasserspender oder Waffe, als Gesprächspartner und Gefährte. Er ist Hanks Überlebenshilfe, ein Freund und Trost. Warum sich Hank auf der Insel befindet, als eine Art Metapher für seine Einsamkeit oder tatsächlich auf einem Eiland, wird im Detail nicht verhandelt. Die Filmemacher Dan Kwan und Daniel Scheinert, die als Regie-Duo „Daniels“ firmieren, setzen den Fokus auf etwas anderes: Wer bin ich? Was definiert mich? Was machen Kultur und Natur mit mir?
Es sind solche philosophischen Aspekte, die hier auf außergewöhnlich bunte, durchgeknallte, originelle Weise und nie vollkommen ernst inszeniert werden. Der existentiellen Bedrohung durch Hunger, Durst und Einsamkeit wird immer wieder der Boden entzogen: Wenn Hank Manni Menschheitsgeschichte und zivilisatorische Kulturgepflogenheiten beibringt, wobei er die Opposition des Daumens als herausragendes entwicklungsspezifisches Charakteristikum des Menschen in Abgrenzung zu den meisten Tieren hervorhebt, das traditionsreiche Lied „Cotton Eye Joe“ singt oder über Spielbergs „Jurassic Park“
(fd 30 396) referiert, sind das augenzwinkernde Kommentare auf unsere Popkultur und die gesamte Gesellschaftsgeschichte.
Es geht dabei immer auch um die fragwürdige Erinnerung an Werte – sei es in Form fest verankerter Normen oder subjektiver Empfindungen. Stets aufs Neue gestalten sich die beiden ihren Alltag und bauen dabei auf Hanks Wissen um gesellschaftliche Regeln. Szenen aus dem früheren Alltag werden detailgetreu nachgebaut, durch Verkleidung an geliebte Menschen erinnert, Kinofilme werden als Schattenspiele nachinszeniert, darüber hinaus soziale Umgangsformen gelehrt. Der Film funktioniert auf diese Weise als ironisches Spiegelbild der Gesellschaft, wobei Traum und Realität immer wieder verwischen. Der Zuschauer kann sich nie ganz sicher fühlen und darf seinen Augen und Ohren nicht trauen: Kwan und Scheinert eröffnen eine wunderbare und tragikomische Welt des unzuverlässigen Erzählens. Genau darum geht es im Kino manchmal.
„Swiss Army Man“ ist ein rasantes, außergewöhnlich ideenreiches Spielfilmdebüt. Ein originelles Spiel mit filmischen und dramaturgischen Mitteln, eine traurig-schöne Metapher auf den Tod und eine bitter-süße Ode an das Leben.