Ein junger Architekt kehrt zu seiner Hochzeit nach Polen zurück und entdeckt am Ort der bevorstehenden Feierlichkeiten menschliche Knochenreste, die er zunächst ignoriert. Während des Fests ergreift ein böser Geist von ihm Besitz, doch die Familie der Braut will verzweifelt den Schein wahren. Visuell-atmosphärisch stark akzentuierte, gleichwohl eher mäßig spannende Dibbuk-Erzählung, die sich als bittere sozialkritische Parabel über die polnische Gesellschaft und ihren Antisemitismus erweist.
- Ab 16.
Dibbuk - Eine Hochzeit in Polen
Horror | Polen/Israel 2015 | 94 Minuten
Regie: Marcin Wrona
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Filmdaten
- Originaltitel
- DEMON
- Produktionsland
- Polen/Israel
- Produktionsjahr
- 2015
- Produktionsfirma
- Magnet Man Film/Transfax Film Prod.
- Regie
- Marcin Wrona
- Buch
- Marcin Wrona · Pawel Maslona
- Kamera
- Pawel Flis
- Musik
- Krzysztof Penderecki · Marcin Macuk
- Schnitt
- Piotr Kmiecik
- Darsteller
- Itay Tiran (Piotr) · Agnieszka Zulewska (Zaneta) · Andrzej Grabowski (Zanetas Vater) · Tomasz Schuchardt (Jasny) · Tomasz Zietek (Ronaldo)
- Länge
- 94 Minuten
- Kinostart
- 28.07.2016
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Horror | Thriller
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Polnischer Horrorfilm von Marcin Wrona als Parabel auf die unaufgearbeitete antisemitische Vergangenheit des Landes.
Diskussion
Es ist ein grauer, diesiger Tag in einem menschenleeren Ort. Die Kamera gleitet durch ein namenloses Dorf in Polen, dessen Bürger wie vom Erdboden verschluckt scheinen. Das gibt den Grundton für die polnisch-israelische Co-Produktion „Dibbuk – Eine Hochzeit in Polen“ von Marcin Wrona vor. Es geht um das, was nicht zu sehen ist. Und um die Tatsache, dass hier etwas nicht zu sehen ist. Am Tag vor seiner Hochzeit stößt ein junger Architekt beim Graben im Garten auf etwas, was menschlichen Ursprungs zu sein scheint. Er entschließt sich, die Überreste zu ignorieren und schüttet das Loch wieder zu.
Das ist ein paradigmatischer Akt in einer dystopischen Parabel über die Vergangenheitsbewältigung nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Film beklagt das Nichterinnern der Schicksale der jüdischen Mitbürger in Polen. Nach der jüdischen Legende des Dybbuk ergreift ein – oftmals böser – Geist eines Toten von einem Lebenden Besitz, um seinen unerfüllten Daseinszweck doch noch zu erreichen. Der Bräutigam scheint in der Folge von der Seele des Toten besessen zu sein, er ist weder Herr seines Körpers noch seines Geistes, er krümmt sich, blutet, wirkt wie irrsinnig. Die warmen Sepiatöne des Films lassen die fantastischen Elemente allerdings nie wirklich unheimlich erscheinen. Während tags darauf die in grelles Licht getauchte feucht-fröhliche Hochzeitsgesellschaft auf dem Grundstück feiert, und die Stimmung im Maße des Wodka-Konsums stetig steigt, verliert sich der Bräutigam immer mehr. Verzweifelt versuchen die verständnislosen Eltern der Braut den Schein zu wahren; sie machen die Gäste mit Alkohol willenlos und verstecken den Bräutigam im dunklen Keller. Was im übertragenen Sinne bedeutet, dass erneut gegen das Erinnern gehandelt wird; was nicht in die Gegenwart passt, wird verborgen und überspielt.
Diese (Hochzeits-)Gesellschaft besitzt kein Verständnis für die Vergangenheit. Deshalb hört auch niemand, wie der alte jüdische Dorflehrer mit der aristotelischen Idee vom Menschen als „zoon politikon“ daran erinnert, dass keine Gemeinschaft ohne Erinnerung existieren kann. Hier nimmt die Filmhandlung politische und theologische Züge an. Die Hochzeitsfeier gleicht einem abstraktem Fresko religiöser Sünden: Völlerei, Wollust, Faulheit, aber auch Zorn und Hochmut halten die Gäste vom Zuhören oder gar Verstehen ab. Während oben die irdischen Laster ausgelebt werden, findet unten im Keller der Versuch eines Exorzismus statt. Doch die Austreibung misslingt. Dafür gewinnt der alte, jiddisch sprechende Lehrer scheinbar das Vertrauen des Geistes. Die Lebenden aber besitzen weder rational noch emotional ein Verständnis für einen Geist, mit dem Unangenehmes ans Licht kommt.
So wirft der in CinemaScope gedrehte Film einen pessimistischen Blick auf polnische Befindlichkeiten. Gewidmet ist er dem Regisseur Edward Zebrowski, der als Mitglied des sogenannten „Kinos der moralischen Unruhe“ und Teil des kreativen Kollektivs um Krzysztof Zanussi, Krzysztof Kieslowski und Agnieszka Holland bekannt wurde. In seiner Stanislaw-Lem-Verfilmung „Das Hospital der Verklärung“ (1978) realisierte Zebrowksi eine beklemmende Dystopie über eine psychiatrische Anstalt während der deutschen Besatzung. In Anlehnung an Piotr Rowickis Theaterstück „Przylgnięcie“ und Salomon An-Skis Klassiker „Der Dibbuk“ entwirft der 2015 verstorbene Wrona eine Kritik der polnischen Gesellschaft, die es versäumt hat, den Umgang mit jüdischen Mitbürgern selbstkritisch aufzuarbeiten. Seine fantastische Parabel ist allerdings mehr ein hintergründiges Aufzeigen dessen, was es nicht gab, als eine offensive Anklage: „Es war nur ein kollektiver Traum“, sagt der Brautvater am Ende der Feierlichkeiten als Vertreter einer Generation, die lieber verneint und vergisst.
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