Ein gutmütiger 40-jähriger Maori mit bipolarer Störung findet nach Jahren in der Psychiatrie Unterschlupf bei seinem Bruder. Während er bei dessen kriminellen Biker-Kumpanen aneckt, findet er Anschluss an einen Schachclub für Jugendliche. Selbst ein hochbegabter Schachspieler, setzt er alles daran, die unterprivilegierten Kinder zur nationalen Meisterschaft zu führen. Der auf dem Leben des Schachgenies Genesis Potini (1963-2011) beruhende Film verbindet Ghetto- und Krankheitsrealität mit einer spannenden Underdog-Geschichte. In der Hauptrolle brillant gespielt, berührt das Drama auch durch seine Anbindung an die Maori-Kultur.
- Sehenswert ab 16.
Das Talent des Genesis Potini
Drama | Neuseeland 2014 | 124 Minuten
Regie: James Napier Robertson
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Filmdaten
- Originaltitel
- THE DARK HORSE
- Produktionsland
- Neuseeland
- Produktionsjahr
- 2014
- Produktionsfirma
- Four Knights Film
- Regie
- James Napier Robertson
- Buch
- James Napier Robertson
- Kamera
- Denson Baker
- Musik
- Dana Lund
- Schnitt
- Peter Roberts
- Darsteller
- Cliff Curtis (Genesis) · James Rolleston (Mana) · Kirk Torrance (Noble) · Wayne Hapi (Ariki) · Xavier Horan (Jedi)
- Länge
- 124 Minuten
- Kinostart
- 16.06.2016
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Maori-Drama um ein bipolares Schachgenie und seine unterprivilegierten Schüler
Diskussion
Ein alltäglicher Anblick ist Genesis Potini gewiss nicht: Den Kopf fast kahlgeschoren, die Zähne voller Lücken, beständig vor sich hinmurmelnd. Wenn er dann noch am Beginn des Films gemächlich durch heftig prasselnden Regen stapft, eine regenbogenfarbene Decke um den gewaltigen Leib gewickelt und die Hände euphorisch zum Himmel erhoben, versteht man durchaus, dass der Koloss seinen Mitmenschen potenziell gefährlich erscheint.
Der neuseeländische Regisseur James Napier Robertson reizt die Frankenstein-Monster-hafte Erscheinung seines Protagonisten jedoch nur kurz aus. Sehr bald wird deutlich, dass Genesis ein durch und durch gutmütiger Mann und nur für sich selbst eine Gefahr ist. Seit seiner Jugend leidet der etwa Vierzigjährige an einer bipolaren Störung und hat mehr als das halbe Leben in der Psychiatrie verbracht. Außer seinen abgetragenen Klamotten und einigen Zeitungsartikeln – vergilbte Erinnerungen an jugendliche Erfolge als Schachspieler – hat er nichts, schon gar keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Eine letzte Chance bietet daher der Einzug bei seinem Bruder Ariki. Feste Strukturen sollen Genesis helfen, seine Anfälle in den Griff zu bekommen. Andernfalls droht ihm die geschlossene Abteilung. Doch bei seinem Bruder erwartet ihn keineswegs Stabilität: Zwar freundet sich dessen Teenager-Sohn Mana mit dem sanftmütigen Onkel an, doch der aufbrausende Ariki und seine groben Biker-Kumpane können mit Genesis wenig anfangen. Es sieht schlecht für Genesis aus, bis er einen Schach-Club für Jugendliche aus seinem verarmten Viertel entdeckt und sich als Betreuer aufdrängt. Enthusiastisch erscheint er zur ersten Trainingsstunde und setzt gleich ein Ziel an, das jedem außer ihm absurd vorkommt: Die Kinder aus kaputten Familien und halbkriminellen Verhältnissen in nur sechs Wochen zur nationalen Juniorenmeisterschaft zu führen.
Es ist eine tragikomische Pointe des Films, dass in der porträtierten Lebenswelt nur Genesis – durch seine manischen Schübe – zum Optimismus fähig zu sein scheint. Selbst die Organisatoren des Schachclubs glauben nicht daran, dass sie bei ihren Schützlingen mehr bewirken können, als ihnen eine Ablenkung vom Alltag zu bieten oder sie am Abfackeln ihrer Schule zu hindern. Auf lange Sicht läuft es dennoch auf Knast oder Arbeitslosenhilfe hinaus.
Der 1982 geborene Regisseur stellt die rauen Lebensbedingungen in der neuseeländischen Peripherie, die überwiegend von Indigenen bewohnt ist, mit einem eindringlichen, sehr glaubhaften Realismus dar. Bei Robertson erscheint die weitgehend vernichtete Maori-Kultur anfangs nur in traurig-pervertierter Form in den Tätowierungen und Männlichkeitsritualen der brutalen Biker, bevor Genesis ein positives Gegenbeispiel entgegensetzt: Um das Prinzip des Schachspiels zu erläutern, greift er auf Maori-Mythen zurück und begrüßt seine Schüler, zu denen bald auch Mana gehört, als seine „Whanau“, seine Familie.
Als Dokument über das Dilemma zwischen Tradition und Trostlosigkeit der Maori-Abkömmlinge fällt der Film höchst präzise aus. Nahtlos knüpft er damit an die beiden wohl bekanntesten Neuseeland-Filme an, an Lee Tamahoris „Die letzte Kriegerin“ (fd 31 528) und Niki Caros „Whale Rider“ (fd 36 092); der Schauspieler Cliff Curtis verkörpert in allen drei Filmen tragende Rollen. Als bipolares Schachgenie Genesis Potini, das tatsächlich mit Ghettokids spielte und 2011 mit 47 Jahren starb, gelingt Curtis eine verblüffende Transformation: Fiebrig und unberechenbar spielt er diesen sanften Riesen, mit körperlicher Wucht, die sich immer wieder gegen ihn selbst richtet, und zugleich mit Momenten beinahe kindlicher Hilflosigkeit.
Es liegt vor allem an Curtis, dass sich das harte Sozial- und Krankheitsdrama bemerkenswert gut mit der recht konventionellen Geschichte vom Aufstieg eines Underdog-Teams verbindet. Denn am Erfolg des Vorhabens, bei den Landesmeisterschaften um den Titel zu kämpfen, zweifelt man keine Sekunde. Man freut sich aber doch über die Fortschritte und Triumphe der unterprivilegierten Kinder, die schließlich in die Sphäre der weißen Oberschicht vordringen. In der steten Rückbindung an diese andere Ebene entwickelt der Film eine Spannung, die vergleichbaren Plots über die fruchtbare Beziehung von Schülern und Mentoren normalerweise fehlt. Nicht der Weg zum Ruhm gegen alle Widerstände ist hier das Entscheidende, sondern vielmehr die Frage: Wie lange kann das angesichts der harschen Realität außerhalb des Schachclubs wohl gutgehen?
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