Je spektakulärer die Zerstörungsorgie, umso besser: diese Genre-Faustregel hat jüngst gerade „Batman v. Superman“
(fd 43 831) durchexerziert. Auch die Filme des „Marvel Cinematic Universe“ (MCU) sind in Sachen Kollateralschäden nicht gerade zimperlich. In „Avengers: Age of Ultron“
(fd 43 060) wurde eine Stadt im fiktiven osteuropäischen Land Sokovia zuerst aus dem Boden gerissen, in die Luft gehoben und dann dem Erdboden gleichgemacht. Klar, eigentlich wollen die Helden die Menschheit nur vor den Bad Guys beschützen. Aber müssen die Konfrontationen immer in den dicht bevölkerten urbanen Zentren ausgetragen werden? Und sind die Avengers der Bevölkerung nicht auch Rechenschaft schuldig für den menschlichen und materiellen Schaden?
„The First Avenger: Civil War“ baut auf dieser Frage, die auch selbstkritisch auf die Zerstörungslust des Genres zielt, seinen zentralen Konflikt auf. Nachdem eine Mission eines Avengers-Teams unter der Leitung von Steve Rogers/Captain America in Lagos viele zivile Opfer kostete, erhebt sich weltweit Protest gegen die von keiner staatlichen Stelle legitimierten Aktivitäten der Avengers. Das Ergebnis ist das sogenannte „Sokovia-Abkommen“, das die Superhelden künftig unter Aufsicht und Kommando eines UN-Gremiums stellen soll. Steve Rogers sieht diese Kontrolle kritisch; er fürchtet, dass er und seine Gefährten für politische Machtinteressen missbraucht werden. Tony Stark/Iron Man hält die Kontrolle dagegen für notwendig und plädiert dafür, dass alle Avengers das Papier unterschreiben. Der Streit darüber treibt einen Keil in das Team. Und als ein Terrorattentat bei einem UN-Treffen in Wien dem „Winter Soldier“ angelastet wird, gibt es weiteren Konfliktstoff: Da der „Winter Soldier“ einstmals Steve Rogers' bester Freund war, will Steve ihn nicht den Behörden ausliefern, sondern selbst nachforschen, was es mit dem Anschlag auf sich hat. Dadurch finden sich Rogers und die Avengers, die zu ihm halten, bald als Staatsfeinde Nr. 1 wieder, hinter denen nun ihre ehemaligen Verbündeten um Tony Stark her sind.
Natürlich kommt auch „Civil War“ nicht ohne großangelegte Actionszenen aus. Der Höhepunkt ist ein Kampf auf dem Gelände des Flughafen Leipzig, die aus der Konstellation „Avengers vs. Avengers“ ein Maximum an superheldischer Duellierkunst herausholt – allerdings ohne auf maximale Zerstörung abzuzielen, da sich die ehemaligen Gefährten eigentlich nichts Böses wollen: Captain America tritt mit Falcon, Hawkeye, Scarlet Witch, dem Winter Soldier und dem neu rekrutierten Ant-Man gegen Iron Man, War Machine, die Black Widow, Vision und als Neuzugänge Black Panther und Spider-Man an.
Den Regisseuren Joe und Anthony Russo sowie den Drehbuchautoren Christopher Markus und Stephen McFeely gelingt es nicht nur bei solchen schauträchtigen Muskel- und Effektspielen, die zentrale Stärke des „Avengers“-Franchise im Blick zu behalten: die über die ersten „Phasen“ des MCU gewachsene Verbundenheit mit den Figuren. Jeder der zahlreichen Charaktere bekommt Gelegenheit, seine spezifischen Stärken zu demonstrieren (inklusive vorlauter Mundwerke, die für komödiantische Kontrapunkte sorgen), sein Verhältnis zu den anderen und seinen Standpunkt zu konturieren – was angesichts der Anzahl der Charaktere ein kleines dramaturgisches Kunststück ist. Die Bewegungen innerhalb des Beziehungsnetzes der Avengers sind es denn auch, die in „Civil War“ für Spannung sorgen; die äußeren Impulse sind letztlich zweitrangig. Weswegen Daniel Brühl als Baron Zemo, der sich als Drahtzieher des Wien-Attentates entpuppt, denn auch einer der blasseren Bösewichter des Franchises bleibt: Er ist nur ein Katalysator für Konflikte, die seit dem ersten „Avengers“-Film
(fd 41 052) innerhalb der Gruppe schwelen.
Dass sich die Macher entschieden haben, als Zankapfel in „Civil War“ die „Sokovia Papers“ einzuführen anstatt des „Superhuman Registration Act“ (SRA), um den es in der gleichnamigen Marvel-Comicreihe geht, ist eine interessante Bedeutungsverschiebung. Der SRA soll in den Comics (ähnlich wie der „Mutant Registration Act“ in Marvels „X-Men“-Franchise) sämtliche übermenschlich Begabten zwingen, sich staatlich registrieren und überwachen zu lassen, egal ob oder wie sie ihre Fähigkeiten nutzen; in den „Sokovia Papers“ geht es um die Regulierung paramilitärischer Aktivitäten der Superhelden. Die verklausulierte Kritik der Comics (2006-2007) an der US-Sicherheitspolitik im Zuge des „War on Terror“ und am um sich greifenden Überwachungseifer wird damit im Film abgeschwächt (vielleicht, weil sie schon im letzten Captain-America-Film „The Return of the First Avenger“, fd 42 273, abgehandelt wurde). Stattdessen schwankt der Film zwischen einer Kritik am Superheldentum als „Weltpolizei“ außerhalb staatlicher Strukturen und der Kritik an genau diesen Strukturen und ihrer Korrumpierbarkeit: Ausgerechnet Thaddeus Ross (William Hurt), den Marvel-Fans aus „Der unglaubliche Hulk“
(fd 38 797) in schlechter Erinnerung haben, gibt sich nach seinem Aufstieg zum „Secretary of State“ als Beschützer der Rechtsstaatlichkeit und nötigt die Avengers zum Unterschreiben des Sokovia-Abkommens.
Um die Frage, wie der Film in diesem Konflikt letztlich selbst Stellung bezieht, mogelt sich die Inszenierung am Ende allerdings herum, indem sie ihr Heil im Männer-Melo sucht. Wenn es zum Showdown zwischen Iron Man und Captain America kommt, dann geht es nicht mehr um Politik, sondern um widerstreitende Loyalitäten, um Familien- und Freundschaftsbande und große, verletzte Gefühle – was auch beim Zuschauer für große Gefühle sorgt, aber viele Fragen und Streitpunkte offen lässt. Vielleicht ist das bei einem Film, der den Auftakt zu einer neuen Phase des „Marvel Cinematic Universe“ darstellt, aber auch gut so.