Für Rico, der bekanntlich „tiefbegabt“, aber zugleich auch sehr aufmerksam ist, steckt die Welt voller Herausforderungen und Wunder: der Weg zum Supermarkt etwa oder „Fundnudeln“ auf dem Gehweg. So richtig was los ist aber eigentlich erst, seitdem er Oskar kennt. Der ist superschlau, aber auch weniger mutig und offen als Rico. Doch was der eine nicht hat, hat der andere – und das zusammen macht sie stark. So stark, dass die Freunde in den ersten beiden Filmen der Reihe erst einen Kindesentführer dingfest machen und dann einen Schmugglerring aufdecken konnten. Mit echten Ganoven müssen es die Jungs im dritten Teil zwar nicht aufnehmen, spannend ist es aber trotzdem.
„Rico, Oskar und der Diebstahlstein“ beginnt mit einem Versprechen. Rico hat nämlich geerbt, und zwar von Fitzke aus dem vierten Stock. Jahrelang hat dem Miesepeter „das Herz auf der Nase rumgetanzt“, und eines Morgens hat es dann nicht mehr getanzt. Doch vor seinem Tod hat Fitzke Rico noch seine wertvolle Steinzucht hinterlassen. Kaum hat Rico geschworen, das Erbe zu ehren, wird Ricos Lieblingsexemplar, der „Kalb-stein“, gestohlen. Versprochen ist versprochen, und so ist klar, dass Rico den Stein wiederfinden muss. Weil er immer genau hinschaut, ist eine Verdächtige schnell ausgemacht. Und so sitzen Rico und Oskar im Nu mit Hund Porsche, aber ohne Fahrschein im Zug Richtung Ostsee. Ganz allein, denn Ricos Mama Tanja ist mit Simon Westbühl im „Knutschurlaub“, und auf Oskars schwermütigen Papa Lars wollen die Kinder nicht bauen.
Raus aus der Stadt, ohne Eltern – kann es für zwei Kinder etwas Aufregenderes geben? Andreas Steinhöfel, auf dessen Romantrilogie die „Rico & Oskar“-Filme basieren, schildert in seinen Büchern das Abenteuerliche im Alltäglichen und zeigt die Realität so, wie sie ist. Ricos Welt ist keine heile Welt. Es gibt „graue Gefühle“, Einsamkeit, Enttäuschungen, aber auch Liebe, Geborgenheit und Verlässlichkeit. Die Menschen haben Macken, aber auch Stärken. Steinhöfel erzählt mit viel Wortwitz und immer auf Augenhöhe mit seiner jungen Zielgruppe und liefert damit eine Steilvorlage für anspruchsvolle Kinderfilme. Das ist vor allem Neele Leana Vollmar 2014 mit ihrem preisgekrönten Auftakt „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ gelungen. Aber auch die Fortsetzung „Rico, Oskar und das Herzgebreche“ (2015) traf den Geist der Vorlage, obwohl Regisseur Wolfgang Groos mitunter auf schrillen Klamauk setzte.
Nun meldet sich Vollmar mit dem Abschlussfilm zurück und das ist dem Film sofort anzumerken. Nie geht es ihr nur um den Effekt. Selbst eine Observierungsszene am FKK-Strand geht ohne peinliche Momente über die Bühne. Feinfühlig inszeniert sie die Geschichte, ohne jemals ihre Figuren bloßzustellen. Es wäre ein Einfaches, Oskars Vater als tragische Witzfigur zu zeichnen. Stattdessen wird er – auch dank Detlev Bucks eindrücklicher Darstellung – zu einem vielschichtigen Charakter, der unter seiner Depression leidet und sich bemüht, seinem Kind nahe zu kommen. Was gar nicht so einfach ist, wenn der Sohn ein Besserwisser ist, der ein liebevoll geplantes Frühstück mit ernährungswissenschaftlichen Vorträgen in den Boden stampft. Der emotionale Schwerpunkt liegt also diesmal, nachdem zuvor Ricos Beziehung zu seiner Mutter auf die Probe gestellt wurde, bei Oskar, seinem Vater Lars und der Frage, ob und wie sie sich zusammenraufen können.
Dass man sich mittlerweile in der „Dieffe 93“ auskennt, liegt in der Natur der Fortsetzung. Man trifft alte Bekannte: Mutter Tanja, frisch verliebt in „den Bühl“, Frau Dahling, der Herr von Scherten den Hof macht, oder Rainer Kiesling, der so schön schnell Auto fährt und nun auch im Film offen schwul sein darf. Weil er mit seinem Liebsten an der Ostsee Urlaub macht, wird er für Rico und Oskar zum Retter in der Not. Denn ganz allein sind die beiden Freunde ja nie, was ein gutes Gefühl ist.
Rico selbst darf auch wieder ein Stück wachsen: Brauchte er im ersten Teil noch Mut, um seinen heimeligen Kiez in Berlin-Kreuzberg zu verlassen, führt es ihn nun fort ans Meer, und erneut beweist er, dass er sein Herz auf dem rechten Fleck trägt. Was ist schon ein wertvoller Stein, wenn man einen tollen Freund und eine liebende Mutter hat! Schade nur, dass wir Rico und Oskar nicht mehr wiedersehen werden.