An Filmen über aus dem Ruder laufende Familientreffen herrscht kein Mangel: von Louis Malles „Komödie im Mai“
(fd 28 193) über Thomas Vinterbergs „Das Fest“
(fd 33 486) bis zu Thomas Arslans „Ferien“
(fd 38 191). In die Uckermark zieht es auch John Kolya Reichart (Jahrgang 1982) mit seinem Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg.
„Antons Fest“ versammelt ein achtköpfiges Ensemble auf einem restaurierten Landgut. Anlass ist der 30. Geburtstag von Anton, der seine engsten Verwandten und Freunde, die meisten von ihnen aus Berlin, nach Jahren der Funkstille mit einer Sammel-Mail ins Grüne gelockt hat. Wie in Samuel Becketts „Warten auf Godot“ müssen sich die Eingeladenen jedoch auch noch nach drei Tagen mit seiner Abwesenheit abfinden. Doch Langeweile kommt nicht gerade auf. Die Gäste fauchen und flennen sich an, teilen aus und stecken ein, suchen Trost im Alkohol und provozieren einander. Das Mutter-Scheusal rechnet mit dem vor 20 Jahren desertierten Vater ab. Die Geschwister benoten gnadenlos den Lebensentwurf des jeweils anderen, und der Gutsbesitzer versinkt in Anbetracht des versammelten menschlichen Elends in Depressionen, die er mit aufgesetzter Coolness kaschiert. Wenn nicht alte Wunden aufbrechen, vergiften neurotische Familienaufstellungen die Luft, über die weder Gruppen-Yoga im Garten noch Spannungen lösender Kleidertausch hinweghelfen.
Leider ist der eskalierende und im Finale besänftigende Verlauf dieser Suada aus Verbitterung, Einsamkeit und Bosheit schnell abzusehen. Während die weite Landschaft sich selbst genug ist, gewinnt die Seelen-Pornografie innerhalb wechselnder Konstellationen die Oberhand. Bis zum Äußersten kommt es nie, auch wenn man den durchweg wachen Darstellern anmerkt, dass sie die Chancen ihrer improvisierten Rollen nutzen möchten. Doch der Regisseur scheint hinter ihrer Präsenz zu verschwinden, und die „Dogma“-Kamera kommt den Figuren beiläufig näher, wie Nachbarn im Treppenhaus, denen man im Vorbeigehen keine Beachtung schenkt und doch verstohlen hinterherschaut.
Als Etüde eines Debütanten ist dieser Wettlauf mit den filmhistorischen Vorgängern akzeptabel, aber auch nicht mehr. Weder makabre Satire noch schmerzhafter Abgesang auf die Verlogenheit einer von innen zerfressenen Familie, verliert sich das luftige Kammerspiel in Unschärfe. Man nimmt neugierig einen Schluck von dem viel gemixten Coctail. Und lässt das halbvolle Glas unverzaubert stehen.