Ein Lager, mitten im Wald. Halb Gutshof, halb KZ. Geschützt durch Starkstrom-Zaun und Selbstschutzanlagen. Männern, Frauen und Kinder wohnen getrennt voneinander. Über Lautsprecher hören sie die Stimme ihres religiösen Führers, salbungsvolle Worte und einen streng strukturierten Tagesablauf. Die Menschen für ein frommes, freudloses Dasein. Ihre Gesichter sind stumpf, ihre Augen leer. Jeder hat Angst, und jeder kontrolliert jeden. Die „Colonia Dignidad“, der kleine „Gottesstaat“, über den der deutsche Laienprediger Paul Schäfer mit absoluter Macht herrschte, liegt 200 Kilometer südlich von Santiago de Chile.
Florian Gallenbergers Film führt zurück ins Jahr 1973. Lena, eine junge deutsche Stewardess, landet in Santiago de Chile. Ihr Freund, der Fotograf Daniel, ist begeistert von der Politik der Volksfrontregierung unter Salvador Allende und engagiert sich in linken Studentengruppen. Das wird ihm zum Verhängnis: Am 11. September putschen die Militärs unter General Pinochet. Daniel und Lena werden verhaftet und mit Tausenden anderen ins Fußballstadion gebracht. Daniel wird verschleppt, weit weg gebracht und in dunklen Kellern gefoltert. Der chilenische Geheimdienst überlässt ihn der „Colonia Dignidad“. „Ihr seid zu grob. Jemanden zu zerbrechen, ohne ihn äußerlich zu verletzen, das ist eine Kunst“, mahnt Paul Schäfer die chilenischen Folterer.
Der Film beginnt mit Elementen des klassischen Politthrillers: Schwarz-weiß-Aufnahmen verdeutlichen den zeitgeschichtlichen Hintergrund. Die Liebe zwischen Lena und Daniel wird von damaliger Musik untermalt. Auf das glückliche Idyll folgt die Katastrophe. Daniels politisches Engagement fällt wie eine Hybris auf ihn zurück – er wird ins Reich des Bösen verschleppt. Ab dem Moment aber, in dem die Genossen Lena erklären, dass sie nichts mehr für Daniel tun können, wandelt sich der Politthriller zum dunklen Märchen, in dem die Logik nicht mehr so wichtig ist.
In dem Mikrokosmos des frommen Terrors baut Gallenberger Momente der Spannung auf und erzeugt eine dunkle Atmosphäre des Schreckens. Das ist Stärke und Schwäche des Films zugleich. Die Eigenwelt der Colonia Dignidad wird so stark akzentuiert, dass Pinochets Diktatur außerhalb des Waldes geradezu verblasst. Beeindruckend ist die Bildgestaltung von Kolja Brandt mit satten Farben der Natur, in der die Insassen ihr Leben fristen. Die nackten Knaben, die vor Schäfer „So nimm denn meine Hände und führe mich...“ singen, die Frauen, die in bunten Trachten General Pinochet begrüßen, die Suchscheinwerfer, die den nächtlichen Wald durchbohren. Michael Nyqvist überzeugt als ebenso fanatischer wie perverser Sektenführer, Daniel Brühl in seinem Doppelcharakter als besessener Fotograf und geistig geschädigtes Folteropfer, Emma Watson als Lena, die erst langsam die Dimension des Schreckensregimes begreift, dem sie sich freiwillig ausgeliefert hat.
„Colonia Dignidad“ ist eher ein zwiespältiger Abenteuerfilm, kein politischer Thriller wie Constantin Costa-Gavras’ „Vermisst“, auch kein „Pans Labyrinth“, Guillermo Del Toros blutig-dunkle Fantasy-Geschichte aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Ein Politthriller lebt mehr von der Atmosphäre als von politischer Aufklärung. Gallenbergers Film liegt irgendwo dazwischen, ein bedrückendes Märchen, bei dem immer wieder betont ist, das alles wahr sei, das die politischen Hintergründe allerdings so holzschnittartig einführt wie die B-Pictures aus den Goldenen Jahren Hollywoods. Man würde gerne mehr erfahren über die Waffen- und Giftgasproduktion bis hin zur stillschweigenden Kollaboration der deutschen Botschaft mit Schäfers finsterem Gottesstaat. Doch „Colonia Dignidad“ erschöpft sich in seiner dunklen Atmosphäre. Man wünscht sich aus ganzem Herzen, dass die Helden lebend aus dem dunklen Wald herausfinden. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.