Kein Genre ist bei Kinogängern derzeit so beliebt wie Filme, die auf wahren Begebenheiten beruhen. Die Spanne reicht dabei von streng an der Realität orientierten Dokumentationen bis zu Dramatisierungen hochaktueller Ereignisse. Die Beschäftigung mit den Missbrauchsfällen katholischer Priester und deren weitreichende Publizität bot sich unter solchen Voraussetzungen geradezu an. Regisseur Tom McCarthy widmet sich dem „heißen Thema“ aber nicht zur Ausbeutung seines Sensationscharakters, sondern wie ein Forscher, der sich mit den allgemein zugänglichen Ermittlungen nicht zufriedengibt, weil er sich von den Vorgängen so aufgewühlt fühlt, dass er das ganze Ausmaß und die ganze Wahrheit offenlegen will.
„Spotlight“ erinnert an eines der großen Vorbilder in der Filmgeschichte, Alan J. Pakulas „Die Unbestechlichen“
(fd 19 971) aus dem Jahr 1976, der Aufdeckung des Watergate-Skandals durch zwei Journalisten der „Washington Post“. Auch McCarthys Film ist Zeitungsdrama, journalistische Recherche und Detektivgeschichte in einem. Was „Spotlight“ nicht sein will, ist ein emotional aufputschendes Pamphlet, das – wenn auch nur von fern – mit der Behandlung des Themas in Boulevardblättern und Fernsehshows in Berührung gebracht werden könnte. „Spotlight“ ist wie einst „Die Unbestechlichen“ ein seriöser Film, dem man allenfalls den Vorwurf machen könnte, dass er das tiefe und fortdauernde Leid der Opfer zu sehr am Rande behandelt.
Ein Großteil der Handlung spielt in den Redaktionsräumen des „Boston Globe“ und kreist um die investigative Arbeit eines Teams der Zeitung, das für seine Berichte später mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Dabei wird nicht unter den Tisch gekehrt, dass auch die Reporter des „Boston Globe“ viele Jahre zuvor schon um die Vorgänge gewusst haben. Nicht nur katholische Priester waren an der Vertuschung der Missbrauchsfälle schuld, sondern auch höchste Würdenträger der Erzdiözese Boston einschließlich deren Kardinals Bernard F. Law trugen daran eine Mitverantwortung.
Hier und da waren Einzelheiten in die Öffentlichkeit durchgesickert, aber alle, die Kenntnis davon hatten, praktizierten eine Kultur des Wegsehens und des Schweigens um des größeren Ganzen willen. Auch in den Etagen des „Boston Globe“ bedurfte es erst eines aus Miami importierten neuen Redaktionsleiters, der das alle Institutionen der Stadt durchdringende katholische Establishment mit nüchterner, zu publizistischer Aktivität mahnender Skepsis betrachtete. Auf diese Weise konnte ein kleines Journalistenteam mit der Sisyphusarbeit der Exhumierung unter Verschluss gehaltener Akten und lange vernachlässigten Beweismaterials beginnen.
Der Film tut sich am meisten in jenen Passagen hervor, die die Komplizenschaft von Kirchenmännern, Anwälten und Zeitungsleuten aufdecken, denen das verhängnisvolle Schweigen der vorausgegangenen Jahre zu verdanken war. Auch die Reporter selbst stammen aus dem Umfeld der katholischsten Millionenstadt der USA. Auch sie sind nicht frei von Skrupeln, aber sie sind überzeugt davon, dass sie eine Aufklärungsarbeit zu leisten haben, die wichtiger ist als Rücksicht auf ihre Erziehung und Herkunft.
McCarthy erzählt die Geschichte der mühsamen, schrittweisen Entwirrung eines Geflechts aus Abwiegelung und Vertuschung in überwiegend ruhigen, sachlichen, für einen im Zeitungsmilieu angesiedelten Film betont unspektakulären Szenen. Er tut das mit derselben Sensibilität, die schon seinen Film „Ein Sommer in New York – The Visitor“
(fd 39 665) auszeichnete. Seine Darsteller hält er zu zurückhaltenden Gesten an. Den „rasenden Reporter“, der nach immer neuen Sensationen Ausschau hält, sucht man hier vergeblich. Das macht „Spotlight“ glaubwürdig und rückt die detaillierte Rekonstruktion der immer noch hochsensiblen Vorgänge in die Nähe eines Dokumentarfilms.
McCarthy scheut aber nicht davor zurück, die ans Licht gekommenen Fakten zu benennen, dass es zum Beispiel bei den beschuldigten Priestern nicht bloß um ein paar „faule Äpfel“ geht, sondern um eine lange Liste von Namen, die schließlich ja auch den Kardinal zum Rücktritt veranlassten.
Das letzte Wort über den „Bostoner Kirchenskandal“ ist ein Film wie „Spotlight“ allerdings nicht. Zu einseitig stehen in ihm die Reporter und der investigative Journalismus im Mittelpunkt und nicht die Missbrauchsopfer, die mehr als Randfiguren fungieren. Sie haben einen eigenen Film verdient.