Eine Architektin, Mutter zweier Kinder, beobachtet im Urlaub am Gardasee einen Selbstmord und wird dadurch aus der Bahn geworfen. Zuhause verliert sie sich zunehmend in einer Wahnwelt, worüber ihr Beruf und Familie entgleiten. Streckenweise intensiv, dann wieder aufdringlich in seiner Überstilisierung, entwirft der ganz von seiner ausdrucksstarken Hauptdarstellerin getragene Film eine hochartifizielle Bildwelt mit irritierenden Klängen. Seine Wirkung wird streckenweise unter dem hermetischen Narzissmus der Inszenierung begraben.
- Ab 16.
Sibylle
Drama | Deutschland 2015 | 86 Minuten
Regie: Michael Krummenacher
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2015
- Produktionsfirma
- Passanten Filmprod./HFF München/BR
- Regie
- Michael Krummenacher
- Buch
- Silvia Wolkan · Michael Krummenacher
- Kamera
- Jakob Wiessner
- Musik
- Björn Magnusson
- Schnitt
- Stine Munch
- Darsteller
- Anne Ratte-Polle (Sibylle Froebisch) · Thomas Loibl (Jan Kuhn) · Dennis Kamitz (David) · Helene Blechinger (Nina) · Thomas Fränzel (Yannick Ahrens)
- Länge
- 86 Minuten
- Kinostart
- 04.02.2016
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Anne Ratte-Polle als Frau, die den Boden unter den Füßen verliert. Ein hochstilisiertes Drama von Michael Krummenacher.
Diskussion
Sibylle scheint, wie es so schön heißt, mitten im Leben zu stehen, aber ihre Geschichte hat tiefe Wurzeln in der Kinogeschichte. Die späteren Filme von David Lynch oder Stanley Kubricks „Shining“ (fd 22 670) sind offensichtliche Vorbilder für den diegetischen Weltentwurf von Michael Krummenacher, der den Abstieg der Architektin Sibylle in ein ganz eigenes und doch fremdbestimmtes Wahnsystem inszeniert hat. In jedem Winkel seiner klaustrophobischen Räume drohen Paranoia und Fantasmen, draußen führen weite Wege ins Nichts oder in den Tod.
Beim Urlaub mit der Familie am Gardasee kommt Sibylle eine Frau entgegen, die ihr ziemlich ähnlich sieht und genau das gleiche Oberteil trägt, eine dieser funktionsgesättigten Outdoorjacken, die ihre Träger als Angehörige der saturierten oberen Mittelschicht ausweisen. Sibylle grüßt, die Frau sagt nichts und stürzt sich ein paar Dutzend Meter weiter von der Klippe in den Tod.
„Es ziehen die Wolken, es schwinden die Sterne“, singt atemlos der Tölzer Knabenchor die Goethe-Worte zur Musik von Carl Orff. Die Inszenierung sucht dabei keine Sekunde lang den Eindruck zu erwecken, als zeige sie eine Welt, die es auch außerhalb der Kinobilder geben könnte. Vor allem, was die Protagonistin erlebt, steht ein Filter aus Sinnbildern des Irrsinns und inszenatorischer Eitelkeit.
Einen Ausweg kann es dementsprechend nicht geben. Der indirekt beobachtete Selbstmord wirft Sibylle aus der Bahn. Zurück daheim wird sie beurlaubt; die Kontrolle über das Architekturbüro, das sie gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Jan führt, entgleitet ihr, genauso wie die Erziehung der beiden Kinder, von denen vor allem der ältere David ihr (echte oder eingebildete) Sorgen macht, mit gewalttätigen Pornos und dem komischen Wunsch, sich dem Bodybuilding zu widmen.
Krummenacher suggeriert, dass hier eine Karrierefrau und Mutter an den Anforderungen zerbricht, die von überall her auf sie einprasseln. Gleichzeitig sind die Szenen so artifiziell aufgesetzt und so antirealistisch miteinander verbunden, dass sich in dieser forcierten Desorientierung eine an die außerfilmische Wirklichkeit gekoppelte gesellschaftskritische Lesart zwingend verlieren muss. Grell und farbig scheint das Kunstlicht in die Zimmer; ein Klopfen, ein Hämmern, ein Rumsen schwillt immer wieder zur Bedrohung an, bis dieses sich auflöst, weil es doch nur Kochgeräusche waren oder bis die Szene, so anregend unbefriedigend und so produktiv irritierend, einfach abbricht – oder im Gegenteil gerade erst anfängt, weil das suggestive Sounddesign dieses Klopfen unabhängig von den Bildern als szenenübergreifende Beunruhigung fabriziert.
Ein derart introspektiver Film muss die Hauptdarstellerin Anne Ratte-Polle notwendigerweise ins Zentrum stellen, ihr langes, schmales Gesicht erkunden, das hier stets von einer latenten Erschöpfung überschattet ist und das so oft ins Entsetzen entgleist oder in ein angestrengtes, falsches Lächeln mit schräg hochgezogenen Mundwinkeln. Der Körper der Darstellerin aber, dieser Anker des Wirklichen, erweist sich im Sturm des Albtraums, der ihn umtost, als lose und labil. Immer wieder geht und geht Ratte-Polle durch die Bilder, als gäbe es irgendeine Hoffnung aufs Ankommen. Es liegt aber gerade in der Natur eines solchen filmischen „Mindfucks“, dass nicht an ein Dazwischen gedacht werden darf, an Handlungen oder Ereignisse, die sich zwischen den Szenen oder am Rande der Bilder abspielen. Verbindungen sind hier in jeglicher Form zum Scheitern verurteilt; selbst das Telefon rauscht beständig vor sich hin und verschluckt die Wörter der Menschen am anderen Ende.
Krummenacher hat den Film und dessen Hauptfigur so hermetisch vom Außen abgeriegelt, dass in jeder Sekunde, in der seine inszenatorische Intensität auch nur ein wenig abflaut, der Narzissmus des Konzepts durchscheint. Da hilft es auch nicht unbedingt, dass diese Intensität häufig nur eine von den Strategien anderer Regisseure geborgte ist.
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