„Manhattan“ war als Filmtitel schon an den großen Woody Allen vergeben. Doch Brooklyn ist mehr als ein Ausweich-Schauplatz für eine Erzählung, in der sich New York einmal mehr als Kristallisationspunkt all dessen materialisiert, was an Amerika verführerisch erschien: die brummende Wirtschaft der 1950er-Jahre, die „opportunity“ des sozialen Aufstiegs, das Selbstverständnis als Einwanderungsland. Dennoch steht Brooklyn, und ein klein wenig gilt das noch heute, für die Kehrseite des Wolkenkratzerglanzes von Manhattan. Es ist der Ort, an dem sich die sammeln, die es nicht in die Wirklichkeit dieser New-York-Fantasie geschafft haben oder die diese Wirklichkeit als Lüge erahnen – eine Heimstatt für all jene, die draußen bleiben müssen oder draußen bleiben wollen.
Aus materieller Not wie fundamentalkatholischer Enge heraus zog es Mitte des 20. Jahrhunderts viele irische Einwanderer dorthin, so wie die zarte, schüchterne Eilis. Ihre fiktive Geschichte hat der Schriftsteller Colm Tóibín in der Romanvorlage erzählt, ein Emigrationsschicksal, exemplarisch und individuell zugleich. Ein irischer Pfarrer hat Eilis in Brooklyn eine Stelle im Einzelhandel und ein Zimmer in einer Damenpension besorgt. Der Abschied von Zuhause ist schmerzhaft, aber notwendig. In ihrem neuen Lebensabschnitt steht Eilis immer dann im Mittelpunkt, wenn Mikrokosmen aufeinanderprallen – schon ihre Kabinennachbarin während der Überfahrt, eine grell geschminkte, in Tat und Wort direkte Lebefrau, zeigt Eilis, was ihr selbst an Amerikanischem fehlt.
Wenn die Ausarbeitung von solchen Mentalitätsunterschieden bisweilen etwas holzschnittartig ausfällt, liegt dies womöglich daran, dass der englische Schriftsteller Nick Hornby die Drehbuchadaption besorgt hat, der eine durchaus gewollte Außenseiterperspektive auf beide im Film porträtierten Welten mitbringt. Gleichzeitig entfaltet er Eilis’ ebenso faszinierendes wie eigentlich unspektakuläres Abenteuer mit feinen, unaufdringlichen Strichen, in die er nur selten seinen als Romanautor so typischen Witz einmischt: Die Abendessen bei Eilis’ Gastgeberin Mrs. Kehoe etwa werden zum regelmäßigen Clash zwischen den ausgehfrohen Neuamerikanerinnen und ihrer konservativen Herbergsmutter, und der kleine Bruder von Tony, Sohn italienischer Einwanderer, in den sich Eilis verliebt, entpuppt sich als ebenso sympathische wie klugscheißerische Kinderwitzfigur.
Tony hilft Eilis über ihr anfangs heftiges Heimweh hinweg. Doch dann stirbt ihre Schwester, und sie kehrt zur Beerdigung in das Kaff Enniscorthy zurück, mit all den Zwängen und Beschränktheiten, die Eilis abgelegt zu haben glaubte. Kurz vor der Abfahrt heiratet sie Tony, erzählt dies daheim aber niemandem, auch dann nicht, als ihre Mutter und ihre alten Freunde sie immer näher an den reichen Erben Jim Farrell herankuppeln wollen.
Regisseur John Crowley, der vom Theater kommt und immer noch regelmäßig für die Bühne inszeniert, gönnt sich nur wenige Großstadtpanoramen. Die Verheißung der Fremde ist für ihn eine soziale. Entsprechend eng führt er die Erzählung auch bildlich an die Figuren heran, die er bei den Bewegungen von Entfremdung wie Heimatwerdung gegen- und aneinander beobachtet. Dabei behält Saoirse Ronan als Eilis eine Steifheit in ihrem Ausdruck, die erst Verzagtheit bedeutet und später Bestimmtheit: sie trägt einen geraden Rücken durch den Film, den sie nicht beugen will. Sie leistet sich weder Ausbrüche, noch zieht sie sich jemals ganz in ihren Kokon zurück, sondern führt durch eine Geschichte, durch die die Zeitläufte sie wiederum führen würden, wenn sie es denn zuließe. Ihren stillen Kampf mit der Umwelt und mit dem eigenen, zur Veränderung gezwungenen Selbst entfalten Crowley und Hornby in einem leichten, nie von der Beispielhaftigkeit dieses Schicksals beschwerten Erzählfluss.