Obwohl Hanna als Personalchefin in einem Weinhandel einen guten Job hat, fühlt sie sich als ein Niemand. Sie forscht den eigenen Wünschen und Bedürfnissen nicht nach, da sie anderer Leute Frust kompensieren zu müssen glaubt. In erster Linie ist es das männliche Geschlecht, dem sie Trost spenden will. Sex macht in ihrem Weltbild allen Schaden wieder gut. Doch als sie ihrem Bruder eine Niere spenden soll, kommt sie über ihre Opferfreudigkeit ins Grübeln.
Für die Regisseurin Baya Kasmi ist das Gefühl, jederzeit zu Diensten stehen zu müssen, keinesfalls nur ein weibliches Problem. Das Gebot der Selbstverleugnung, beseelt vom Wunsch nach Anerkennung und gesellschaftlicher Teilhabe, legen sich auch Migranten – und zwar beiderlei Geschlechts – auf, vor allem die der ersten Einwanderergeneration. Um von der schwierigen Identitätsfindung beider Gruppen zu erzählen, will ihr Film Komödie, Entwicklungsgeschichte, Liebesgeschichte und sozialkritische Studie in einem sein. So stellt sie Hanna in eine multikulturelle Familie hinein, anhand deren Konflikte sie das schwierige Ringen um die eigene Identität ins Bild rückt. Dabei wirft der Film markante Schlaglichter auf die öffentlich inzwischen mehr wahrgenommenen sozialen Ursachen. Für Hannas Vater, der einst aus Algerien kam, war es noch selbstverständlich, sich in die französische Gesellschaft zu integrieren und dafür auch deren Werte, etwa den Laizismus, anzuerkennen. Beredter Ausdruck davon ist, dass der Vater eine „weiße“ Französin geheiratet hat und in seinem Laden Schinken vorhält. In dem selbstlosen Einsatz für das Wohl seiner Kundschaft trifft er sich mit seiner Ehefrau. Die kapitalismuskritische Psychotherapeutin setzt auf Aufklärung und Selbstermächtigung und behandelt ihre finanzschwachen Nachbarn umsonst. Doch die Inszenierung macht das linke „Gutmenschentum“ als eine Form ideologischer Verblendung aus. Die Geistesart der Eltern kann nur durch die radikale Ausblendung der Realität aufrechterhalten werden. Sie bringt eine Kultur des Beschweigens und Wegsehens hervor. So wollte die Mutter partout nicht bemerken, dass Hanna als Mädchen von einem Kunden sexuell missbraucht wurde. Und in der Gegenwart halten es beide Eltern für ganz selbstverständlich, dass ihre Tochter für den nierenkranken Bruder ein Organ spenden wird.
Der Sohn Donnadieu dagegen muckt auf. Er teilt den Konsens, gerade auch den des Vaters, nicht, sondern sucht nach seinen algerischen Wurzeln, die er mit dem Islam identifiziert. Ihm sei in einem säkularen Land wie Frankreich keine Zukunft beschieden. Deshalb wandert er mit Frau und Kindern nach Algerien aus.
Um das jeweilige Dilemma von Söhnen und Töchtern der Einwanderer vor Augen zu führen, nutzt die Inszenierung das Motiv der ungleichen Geschwister. Während dem Mädchen Gewalt angetan wird, fügt sich der Junge selbst Gewalt zu. Er muss Härte entwickeln, damit er von seinen Altersgenossen anerkannt wird. Dabei steigt er vom kleinkriminellen Drogendealer zum religiösen Hardliner auf. Für eine junge Frau wiederum kann es nur zwei Positionen in der Gesellschaft geben. Entweder ist sie wie Hannas züchtig verhüllte Schwägerin sittsame Ehefrau, oder sie ist eine Hure. Mit ihrer aufreizend leuchtenden Kleidung verhält sich Hanna in den Augen ihrer Umgebung wie eine Prostituierte.
Der Film bezieht seine Komik aus der satirischen Entlarvung des religiösen Milieus wie aus der sexuellen Dienstbarkeit Hannas und ihrer Verwechslung mit einer Prostituierten. Kasmi packt viel in den Film hinein; sie greift aktuelle Fragen nach Selbstbestimmung, Diskriminierung und dem Wiedererstarken von Religion auf. Doch all das wird keineswegs der Komplexität der Themen gerecht. Komödie, Liebesgeschichte und Entwicklungsdrama behindern einander gegenseitig, und ihre Vermischung stört die Spannung. Es fehlt der geistreiche Witz. So vermag der Film weder am Beispiel des Bruders zu erforschen, weshalb eine Generation junger Migranten die Religion wiederentdeckt; er präsentiert in der Rückblende nur typisierte biografische Momente; welche Rolle (Selbst-)Ausbeutung oder der Missbrauch des weiblichen Körpers dabei spielen, wird in allzu groben Zügen abgehandelt. Noch hintertreibt der Film mit den Mitteln von Komik und Satire die Fremdbestimmung und allgegenwärtige Sexualisierung von Frauen, die er ja selbst als Grund für Hannas misslingende Identitätsbildung angibt. Die sich kritisch gebende Komödie verliert ihren Biss überdies durch die Flucht in traditionelle Muster: Hanna muss erst von einem Mann auf den Weg der Selbstfindung gebracht werden. Und träumt einmal mehr von ewiger Liebe.