Ein junges, desillusioniertes Paar aus Madrid schlägt sich mit Gelegenheitsjobs oder als Pornodarsteller durchs Leben. Gern würden die beiden zusammenwohnen, doch die erdrückende Wirtschaftskrise hat all ihre Energien geraubt. Als die Frau schwanger wird und eine Tochter zur Welt bringt, ändert sich ihr Dasein radikal. Der illusionslose, mitunter spröde Film kreist um ein bleiern-stagnierendes Lebensgefühl und porträtiert eine verlorene Generation. Auch wenn Inszenierung und Hauptdarsteller bei aller sozialen Melancholie leichtere Töne anklingen lassen, steht im Mittelpunkt des Prekariatsdramas die Normalität der Verelendung.
- Ab 16.
Schöne Jugend - Hermosa Juventud
Drama | Spanien/Frankreich 2014 | 102 Minuten
Regie: Jaime Rosales
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Filmdaten
- Originaltitel
- HERMOSA JUVENTUD
- Produktionsland
- Spanien/Frankreich
- Produktionsjahr
- 2014
- Produktionsfirma
- Fresdeval Films/Wanda Visión/Les Productions Balthazar/TV3/Canal+ España
- Regie
- Jaime Rosales
- Buch
- Jaime Rosales · Enric Rufas
- Kamera
- Pau Esteve Birba
- Musik
- Juan Gómez-Acebo
- Schnitt
- Lucía Casal
- Darsteller
- Ingrid García Jonsson (Natalia) · Carlos Rodríguez (Carlos) · Inma Nieto (Dolores) · Fernando Barona (Raúl) · Juanma Calderón (Pedro)
- Länge
- 102 Minuten
- Kinostart
- 03.12.2015
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Prekariatsdrama um ein junges Paar aus Madrid
Diskussion
Eine junge Frau, Natalie, macht einen Schwangerschaftstest. Sie lebt mit ihrer kleinen Schwester Irene, dem jüngeren Bruder Pedro und ihrer Mutter in einem Madrider Wohnblock. Ihr Vater ist seit einiger Zeit getrennt von der Familie. Natalie betreut ihre jüngeren Geschwister, wenn die Mutter arbeiten muss. Die kleine Schwester verbringt mit offenem Mund viel Zeit vor dem Fernseher, Pedro hat keine Lust auf Schule und Klassenarbeiten. Auch Natalia will etwas anderes. Mit ihrem Freund Carlos würde sie gerne eine Wohnung finden, doch dafür haben sie kein Geld. Natalia ist 22 Jahre alt, Carlos 23. Seit zwei Jahren sind sie ein Paar, beide haben keine Ausbildung und keine Arbeit. Große Zukunftspläne haben sie nicht; schon der normale Lebensunterhalt ist eigentlich unmöglich. Sie haben keine Ambitionen, sie hegen keine großen Hoffnungen, die Zukunft ist weit weg: „Wenn ich einmal reich bin, kaufe ich dir ein Häuschen am Strand und mir einen Ferrari“, sagt Carlos zu Natalia, dabei hat er nicht einmal einen Führerschein. Wenn der Vater seines Freundes Raul großzügig ist, lässt er Carlos für zehn Euro am Tag seine Baustellen aufräumen. Natalia hinterlässt ihren Lebenslauf in den unterschiedlichsten Läden und Geschäften, aber niemand sucht Personal.
Während Natalias Mutter noch versucht, die Familie zu ernähren, lässt sich Carlos Mutter mit Schmerzen im Bein und Übergewicht von ihrem Sohn pflegen. Um etwas Geld zu verdienen, verdingen sich Carlos und Natalia bei einem Amateurpornokanal. Der Sex vor der Kamera bringt jedem von ihnen 300 Euro; das Vorstellungsgespräch vor dem eigentlichen Dreh ist einer der wenigen Momente trockenen Humors in „Hermosa Juventud“.
Als Natalia weiß, dass sie schwanger ist, und Carlos bei einem Streit krankenhausreif geschlagen wird, ändert sich die Situation aller Beteiligten. Die kleine Tochter Julia schafft neue Herausforderungen. Die Mutter wird freundlicher, die Spannungen zwischen dem Paar dagegen nehmen zu. Carlos träumt von einem gebrauchten Lieferwagen, um zu Geld zu kommen, Natalia will nach Deutschland.
„Hermosa Juventud“, die schöne Jugend, ist mehr als ein ironischer Titel. Er ist das Porträt einer verlorenen Generation, in Spanien und auch in anderen Ländern. Madrid hat hier viel von der Tristesse osteuropäischer Trabantenstädte; Orte verlorener oder noch nie entfalteter Hoffnungen. Dabei das Werk von Regisseur Jaime Rosales realistisch, aber nicht naturalistisch: Alles ist authentisch und gleichzeitig stilisiert, ganz wirklichkeitsnah und doch symbolgeladen. Schlicht inszeniert, mitunter fast spröde, spartanisch, aber jedes Wort und jeder Dialog trifft. Rosales inszeniert das Sozialdrama in verblichen-grauen bis fast schmutzig-gelben Farbtönen. Ein bleiernes stagnierendes Lebensgefühl, in dem nur die Fotos auf den Smartphones ein wenig Farbe und Perspektive verströmen, wobei auch die beiden Zeitsprünge im Film über eine Montage elektronischer Bilder und Nachrichten erzählt werden.
Bei aller sozialen Melancholie vermittelt der Film aber auch eine gewisse Leichtigkeit des Seins. Die Inszenierung lebt von der Natürlichkeit der beiden Hauptdarsteller Ingrid Garcia Jonsson und Carlos Rodriguez, die ihre Figuren nicht heroisieren im täglichen Kampf um den Lebensunterhalt. Rosales ist überdies aber auch kein Voyeur des sozialen Elends, der die Welt des Prekariats primär deshalb vor Augen führen würde, damit man sich nachher im eigenen Leben umso besser fühlt. Das Schreckliche und wirklich Beeindruckende an „Hermosa Juventud“ ist vielmehr die Normalität der Verelendung.
Ein solcher Film kann kein Happy End haben. In der Dynamik der Wirtschaftskrise haben die, die gestern wenig hatten, heute gar nichts mehr. Die Krise macht die Schwachen schwächer, und auch die Emigration verbessert nichts an der Situation. Es geht einfach nur weiter.
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