Friedrich Dürrenmatt, geboren am 5.1.1921 als Sohn eines Pfarrers im bernischen Konolfingen, gestorben am 14. Dezember 1990 in Neuenburg, ist eine der herausragenden Schweizer Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Er war Schriftsteller, Maler und Denker. Er hat bissige Krimis und groteske Tragikomödien – etwa: „Der Besuch der alten Dame“, „Die Physiker“, „Achterloo“ – geschrieben, die noch heute gelesen und gespielt werden; seine Gemälde und Zeichnungen hängen im Centre Dürrenmatt in Neuenburg, wo er gelebt hat. Mit seiner ersten Frau, Lotti Geissler-Dürrenmatt, und den drei gemeinsamen Kindern, später seiner zweiten Frau, die wie seine erste Schauspielerin war: Charlotte Kerr.
Fünfundzwanzig Jahre nach seinem Tod diesem großen Mann in einem Film nochmals Gehör zu verschaffen, ist durchaus angebracht. Gewagt hat dies Sabine Gisiger („Yaloms Anleitung zum Glücklichsein“, fd 42 604) mit dem diesen Januar erschienenen Fernsehfeature „Friedrich Dürrenmatt im Labyrinth“ und einem darauf aufbauenden Kinofilm. „Dürrenmatt – Eine Liebesgeschichte“, wie er heißt, beginnt mit dem Tod. Nicht mit Dürrenmatts, sondern mit dem seiner ersten Frau Lotti, die 36 Jahre lang seine Lebens- und Schaffensgefährtin war. Wie eng die beiden verbunden waren, wie sehr der große Dürrenmatt in seinem kreativen Schaffen von seiner Frau abhing, davon erzählt Gisigers Film. In Interviews mit zwei seiner Kinder, die schildern, wie unnahbar der Vater war, wie die Mutter die Familie zusammenhielt, wie man an heiteren Tagen glücklich zusammen lachte. Und dann ist da Peters – er ist wie der Großvater Pfarrer geworden – Erinnerung an einen Besuch von Max Frisch, bei dem die beiden Schriftsteller ins kalauernde Dichten kamen und daraus doch nichts wurde.
Man kann sich solche Szenen gut vorstellen. Vor allem weil Gisiger eine reiche Fülle von Archivmaterial – Fotos, Skizzen, TV-Interviews, Aufzeichnungen von Theateraufführungen und Auftritten – zur Verfügung stand, dass sie zum Erzählten das Bild liefern kann: Frisch und Dürrenmatt, lachend. Doch eindrücklicher als das, was Peter, seine Schwester Ruth – die als komponierende Pianistin übrigens auch den furchtbar monoton-leiernden Soundtrack zum Film beisteuerte – und Dürrenmatts Schwester Verena erzählen, wirkt Dürrenmatts eigene Rede. Es gibt da Dürrenmatt privat: Etwa im Nachdenken über Lottis Tod, der den Zurückbleibenden in ein Loch fallen lässt und sein Leben nochmals neu zu gestalten zwingt. Und es gibt Dürrenmatt den Intellektuellen. Der – köstlich – sein eigenes Schaffen interpretiert. Seine düsteren, Katastrophen zeigenden Jugendzeichnungen, die nur Gelächter ernteten, oder die Sterbe-Szene in „Frank der Fünfte“, in der ein eh bereits Sterbender von seiner Mutter noch ermordet wird: Es sei dies die groteskeste aller Szenen, die er je geschrieben habe und sie enthalte in kürzester Form seine Sicht vom Theater.
Gisiger hat die verschiedenen Teile versiert ineinander montiert, lässt „Fritz“, den durch die Frau und Familie geerdeten Vater, der in den Augen seiner Tochter auch ein Emmentaler Genussmensch war, neben dem hochintellektuellen Denker erscheinen, der sich immer sehr bewusst selber ins Bild setzt. Viele Ausschnitte von „Dürrenmatt – Eine Liebesgeschichte“ stammen aus „Portrait eines Planeten – Friedrich Dürrenmatt“, einem Dokumentarfilm, den Charlotte Kerr in der Zeit ihres ersten Kennens drehte, und dadurch tappt die Filmemacherin in eine Falle. Zu sehr verlässt sie sich in diesem Film auf die Bilder anderer und vergisst dabei, dass ein 25 Jahre nach Dürrenmatts Tod erschienener Porträt-Essay auch die Handschrift seiner Autorin tragen, und sich die zeitgenössische Rezeption von dessen Werk vielleicht in etwas mehr als bloß einer über den Abspann gelegten, von „Züri West“ getätigten Neuinterpretation von Dürrenmatts „Lied für Lotti“ zeigen darf.