Eine 17-jährige Gymnasiastin aus einer dänischen Kleinstadt richtet sich auf die Zeit nach der Schule ein. Dabei fühlt sie sich von der neuen Kunstlehrerin angezogen, die im Unterricht über Männlichkeit und Feminismus diskutieren lässt. Als sie der Lehrerin gesteht, dass sie sich in sie verliebt hat, reagiert die Pädagogin abweisend. Der stille Film über das Erwachsenwerden in der Provinz, der fast durchgängig in öffentlichen Räumen spielt, lässt die Gefühle wie auch die Geschichte in der Schwebe. Mit kunstvollen Ellipsen, die jede Eindeutigkeit vermeiden, reiht sich Einstellung an Einstellung, wobei viel Zeit zum Schauen und Nachsinnen bleibt.
- Sehenswert ab 14.
Limbo (2014)
Drama | Dänemark/Deutschland 2014 | 80 Minuten
Regie: Anna Sofie Hartmann
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Filmdaten
- Originaltitel
- LIMBO
- Produktionsland
- Dänemark/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2014
- Produktionsfirma
- Gourmet Film/DFFB
- Regie
- Anna Sofie Hartmann
- Buch
- Anna Sofie Hartmann
- Kamera
- Matilda Mester
- Musik
- Mads Hartmann
- Schnitt
- Sofie Steenberger
- Darsteller
- Annika Nuka Mathiassen (Sara) · Sofía Nolsøe (Karen) · Laura Gustafsen (Louise) · Sarai Randzorff (Rikke) · Sabine Madsen (Sabine)
- Länge
- 80 Minuten
- Kinostart
- 24.09.2015
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama
Vom Erwachsenwerden in der dänischen Provinz
Diskussion
Nakskov ist mit 12.665 Einwohnern die größte Stadt der dänischen Insel Lolland. Einst eine bedeutende Hafenstadt mit einer Werft als wichtigstem Arbeitgeber, ist sie heute ein Zentrum der dänischen Zuckerindustrie. Auf dem Werftgelände werden jetzt Rotorenblätter für Windkraftanlagen gefertigt; die Landschaft ist agrarisch geprägt. Unablässig liefern Bauern Zuckerrüben in der Zuckerfabrik an. In immer neuen Fahrten durchmisst die Kamera in Anna Sofie Hartmanns Spielfilmdebüt eine industriell geprägte Topografie, die insbesondere Jugendlichen wenig mehr als ein paar Kneipen, Sportvereine und eine Schwimmhalle zu bieten hat. Wiederholt kommt eine Gruppe von Kindern ins Bild, die sich mit ihren Fahrrädern auf Supermarkt-Parkplätzen und kaum befahrenen Straßen bewegen. Der Film kommt sogar komplett ohne Eltern und Elternhäuser aus: Alle Szenen spielen – mit einer Ausnahme – in öffentlichen Räumen – Klassenzimmern, Kneipen, Umkleideräumen, am Rande von Sportplätzen. Eine Geschichte vom Erwachsenwerden in der Provinz.
Noch ist alles in der Schwebe, worauf der Titel anspielt, aber der Countdown läuft bereits. Die 17-jährige Sara besucht die Abschlussklasse des örtlichen Gymnasiums. Es liegt auf der Hand, dass die Jugendlichen nach der Schule anderswo studieren, arbeiten, leben. Die neue Lehrerin Karen kommt von den Färöern; sie hat auf dem Festland studiert und ist sehr engagiert. Sie lässt die Schüler im Kunstunterricht über Geschlechterrollen und Pornografie diskutieren und leitet auch die Theater-AG der Schule. Auf dem Programm stehen „Antigone“ und „Nora, ein Puppenheim“.
Karen findet Noras beste Freundin etwas zu feministisch, aber Sara ist fasziniert. Einmal hilft sie Karen beim Streichen der Wohnung: eine erste private Begegnung, dann der noch spielerische Versuch zu flirten. Kurz darauf eröffnet Sara ihrer Lehrerin, dass sie sich verliebt habe, was von Karen schlicht bestritten wird. Sara reagiert auf diese Zurückweisung verstört, zieht sich zurück und schwänzt die Schule. Ein paar Tage später begegnen sich Sara und Karen abends in einer Grünanlage. Es kommt zu einem kurzen Austausch, der in ein Blickduell mündet, jedoch filmisch nicht aufgelöst wird. In der folgenden Szene wird der Liebesgeschichte die Basis entzogen, womit der Film gewissermaßen seine Geschichte verliert, aber trotzdem weitergeht. In der Schwebe bleiben so nicht nur die Gefühle der Figuren, sondern auch das Verhältnis zwischen der Geschichte und ihrem atmosphärischen Hintergrund. Mitunter entwickelt die Kamera auch ein Eigenleben, wenn sie Interessantes entdeckt. Etwa, wenn ein Pizzabäcker seine Kunst zeigen darf oder Jugendliche Fahrrad fahren.
Anna Sofie Hartmann hält die Dinge mit erstaunlicher Konsequenz auf Distanz. Sie setzt auf Ellipsen, vermeidet Eindeutigkeiten, Erklärungen oder dramaturgische Behauptungen. Dennoch scheint jede Sequenz, jede Kamerabewegung und jede Einstellung wohldurchdacht und stets aufs Ganze bezogen. Der Zuschauer erhält genug Zeit, um sich zu den Bildern und Tönen zu verhalten; gleichwohl sollte man aufmerksam sein, um nichts zu übersehen oder überhören. So wirkt etwa das Blickduell zwischen Sara und Karen lange nach. „Limbo“ ist eine dffb-Produktion, und man darin durchaus Spuren der „Berliner Schule“ ausmachen. In einem Gespräch mit Anna Sofie Hartmann findet sich der schöne Satz: „Ich verstehe nicht, wann Intellektuell-Sein etwas Schlechtes geworden ist.“ Der Filmemacherin, die selbst aus Nakskov stammt und von dort nach Aarhus und dann nach Berlin geflohen ist, gehe es um Atmosphärisches, das nicht durch Worte und Handlungen zu fixieren sei, sondern allein durch „Zeit zum Schauen“ erfahrbar werde. Wer sich diese Zeit nimmt, wird mit einem der schönsten Filme des Jahres belohnt.
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