Gertrude Margaret Lowthian Bell und Werner Herzog. Das ist eine einleuchtende Konstellation, wenn nicht gar ein „perfect match“. Von Herzogs mal mehr, mal weniger irren und bisher ausschließlich männlichen Figuren wie Aguirre, Fitzcarraldo oder aus der jüngeren Filmvita: der „Bad Lieutenant“ (
(fd 39 731), 2009) und der Muttermörder Brad Macallam aus „The Wild Blue Yonder“ (
(fd 38 399), 2005) trennt die britische Forschungsreisende, die auch als Historikerin, Schriftstellerin, Archäologin und politische Beraterin hervortrat, zwar ein durchweg gesunder Menschenverstand und hohes diplomatisches Geschick. Ins typisch Herzog’sche Grenzgängerpersonal passt Bell trotzdem ausgesprochen gut.
Für ihre Zeit, die 1880er-Jahre in England, absolut unkonventionell, studierte Bell, die als Ehefrau als nur schwer vermittelbar galt, neuere Geschichte in Oxford; später ging sie nach Teheran, lernte Farsi, übersetzte persische Gedichte. Bell, die auch als eine Art weibliche Version von Lawrence von Arabien gilt, bereiste teilweise gegen den Widerstand der osmanischen Verwaltungsbeamten entlegene Regionen, die bis dahin nur wenige westliche Männer und ganz sicherlich keine europäische Frau je aufgesucht hatten. Dass sie bei den Scheichs und Stammesführern hohes Ansehen genoss, sprach sich herum: zwischen 1915 und 1925 spielte Bell als Vermittlerin zwischen dem Orient und dem British Empire eine Schlüsselrolle in der Neuordnung des Nahen Ostens.
Zu erwarten war, dass Herzog bei einem solch spektakulären Lebenslauf mit der schnellsten Abkürzung zum Grenzgängerischen vorstoßen würde. Stattdessen aber zeigt er zunächst, und das mit feinem Humor, abendliche Bälle und Schwäne vor stattlicher englischer Kulisse, um dann ausladend und durchaus nah an der Schmonzette eine rührend unschuldig erzählte Liebesgeschichte auszugestalten. In Teheran nämlich verliebt sich Bell in den mittellosen Diplomaten und Spieler Henry Cadogan, eine Liebe ohne Zukunft, die mit dem überraschenden Tod des Geliebten ein jähes Ende findet. Erst dann entwickelt sich „Königin der Wüste“ zu einem Landschafts- und Wüstenfilm, allerdings weit weniger schroff, gefahrenorientiert und ekstatisch, als man dies von dem bajuwarischen Autorenfilmer gewohnt ist. Auch zeigt Herzog an zeitgenössischen Bezügen, etwa zu heutigen Stammeskonflikten, ebenso wenig Interesse wie an einer historischen Rekonstruktion. Eher schon strebt „Königin der Wüste“ nach dem Abenteuerfilm eines vergangenen Hollywoodkinos oder auch nach den Orient-Fantasien eines Karl May. Der ausgesprochen „campe“ Auftritt von Robert Pattinson als T.E. Lawrence fügt dem Register des Trivialen nur noch eine weitere Facette hinzu.
Die charakteristischen Herzog-Signaturen zeigen sich indes nur punktuell. In der erinnerungswürdigsten, weil aus dem Rahmen des Films ausbrechenden Szene besteigen Bell und Cadogan den so genannten Turm des Schweigens. Da oben gäbe es Schädel und Knochen, vor allem jedoch Geier, kündigt Cadogan an. Oben angelangt – das Gegenlicht überstrahlt das Bild und erzeugt attraktive „lens flares“ – glotzt tatsächlich ein riesiger Vogel die beiden an, der sich gerade an einem Kadaverhaufen zu schaffen macht. Das Paar flüchtet, stürmt nach unten und rennt in die offene Wüste zum Hollywood-Kuss, wobei die Drohnenkamera über ihnen schwebt und die Szene auf völlig überzogene Weise monumentalisiert. Überhaupt mal wieder die Tiere: Peter Zeitlingers wunderbar dokumentarische Aufnahmen Wasser trinkender Dromedare sind weitaus aufregender, als Nicole Kidman auf ebendiesen durch die Wüste reiten zu sehen.
Für die „Herzog-Gemeinde“ gibt es hier und da autobiografische Verweise zu entdecken. Wenn Bell etwa einen Streifschuss abbekommt und den Vorfall mit einem „It’s nothing“ herunterspielt, legt Herzog ihr seine eigenen Worte in den Mund, als ihm Ähnliches während eines Interviews widerfuhr (zu sehen unter „Werner Herzog gets shot“ auf Youtube).
Den kompromisslosen Eigen- und Wahnsinn von Herzogs vorherigem Spielfilm „My Son, My Son, What Have Ye Done?“
(fd 40 284) sucht man in „Königin der Wüste“ dennoch vergebens. Trotzdem macht der Film durchaus Vergnügen, zumindest wenn man gewillt ist, dem Ganzen nicht allzu viel Ernsthaftigkeit beizumessen und die etwas gediegene Schauseite des Films – fette Streichermusik, schmachtende arabische Gesänge und andere populäre Exotismen – als die Aneignung bzw. Enteignung einer Form zu begreifen.