Dokumentarisches Porträt des ostdeutschen Illustrators Werner Klemke (1917-1994), der als Wehrmachtssoldat ab 1939 in der Nähe von Amsterdam stationiert war, wo er in Kontakt mit dem niederländischen Widerstand kam. Er fälschte Dokumente, die Juden vor der Deportation bewahrten. Der aus Archivmaterial und teilweise animierten Illustrationen Klemkes spannend gestaltete Film beschränkt sich nicht auf die unbekannte Episode aus dem Leben des Künstlers, sondern zeichnet auch sein Leben und Wirken nach 1945 als sehr erfolgreicher Illustrator und Hochschullehrer in der DDR nach.
- Ab 14.
Treffpunkt Erasmus
Dokumentarfilm | Niederlande/Deutschland 2015 | 98 Minuten
Regie: Annet Betsalel
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Filmdaten
- Originaltitel
- TREFFPUNKT ERASMUS
- Produktionsland
- Niederlande/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2015
- Produktionsfirma
- Mezzo Prod.
- Regie
- Annet Betsalel
- Buch
- Annet Betsalel
- Kamera
- Michael Ballak
- Länge
- 98 Minuten
- Kinostart
- 27.08.2015
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Die Zeichnungen von Werner Klemke sind federleicht, selbst wenn er mit wenigen Strichen eine Flak aufs Papier geworfen hat. Ab 1939 war der ostdeutsche Illustrator als Wehrmachtssoldat in den Niederlanden stationiert, in Bussum, nicht weit von Amsterdam. Seine Geschichte, die die jüdisch-niederländische Filmemacherin Annet Betsalel erzählt, nimmt ihren Anfang im Gemeindearchiv der Synagoge von Bussum. Hier ist der Ehemann der Filmemacherin Kantor. Im Jahr 2011, also 17 Jahre nach dem Tod des DDR-Illustrators, entdeckte Betsalel Dokumente, Fotos und Briefe, die ein von Klemke zeitlebens gehütetes Geheimnis preisgeben.
Klemke wurde im Zweiten Weltkrieg vornehmlich in der Schreibstube eingesetzt. Er zeichnete viel, illustrierte beispielsweise die Gedichte seines Freundes und Kameraden Johannes Gerhardt. Im Amsterdamer Antiquariat Erasmus kamen die beiden Soldaten in Kontakt mit Mels de Jong und Eva van Perlstein, deren Vater der jüdische Großunternehmer Sam van Perlstein war. Klemke verschaffte ihm durch geschickte Fälschungen eine arische Identität. Van Perlstein und seine Familie konnten den gelben Stern ablegen und bekamen ihr Vermögen zurück – das sie fortan maßgeblich ins Untergrund-Netzwerk steckten. Diese wohlorganisierten Verbindungen waren darauf ausgerichtet, NS-Verfolgte zu verstecken und so vor der Deportation zu schützen. Klemke fälschte in seiner Schreibstube weiterhin Taufurkunden, Pässe und Lebensmittelkarten, die das Überleben der versteckten Juden sicherten. Dass seine Zeichnungen 1943 in der Propaganda-Ausstellung „Kunst der Front“ im Rijksmuseum Amsterdam gezeigt wurden, bezeichnet er in den an seine Kinder gerichteten Erinnerungen als „gute Tarnung“.
Aus diesen Erinnerungen wird immer wieder zitiert; es sind Klemkes Notizen, die zu den Illustrationen aus seinem „Kriegstagebuch“ zu hören sind. Diese Zeichnungen werden in liebevoller Animation verlebendigt, mit all der Ironie, mit der sie der Zeichner hingeworfen hat.
Betsalel hat umfangreich recherchiert, Zeitzeugen, Enkel, Kinder in Holland befragt und den Klemke-Sammler Matthias Haberzettl in Augsburg besucht. Durch den Film führen Klemkes Sohn und eine seiner drei Töchter. Auf den Spuren des Vaters reisen sie nach Bussum und Amsterdam. Zuvor werden die Protagonisten vorgestellt, in erster Linie über Archivmaterial und Interviews mit Hinterbliebenen. Da dauert es allerdings etwas zu lang, bis sich ein Überblick über die Verwandtschaftsbeziehungen einstellt, da die Geschichte erst im Anschluss erzählt wird. Sobald jedoch die etwas umständliche erste halbe Stunde des Films vorüber ist, beginnt eine spannende, dokumentarische Erzählung um den stillen Helden Werner Klemke.
Betsalel beschränkt sich nicht auf Klemkes Zeit als Wehrmachtssoldat. Sie betrachtet auch sein Wirken in der DDR. Klemke war der vielleicht erfolgreichste Illustrator im Osten, ohne deshalb angepasst zu sein. Er stellte sich nie offen und konfrontativ gegen das Regime, war aber auch kein Parteimitglied; nach Ironie oder Seitenhieben muss man in seinem Werk nicht lange suchen.
Es ist zu hoffen, dass „Treffpunkt Erasmus“ auch jenseits der ehemaligen Grenzen zur DDR gezeigt und gesehen wird. Man entdeckt einen Künstler, der vielleicht ein zweiter Janosch geworden wäre, wenn er im Westen gearbeitet hätte, so ungeheuer leicht, fröhlich und zutreffend sind beispielsweise seine Kinderbuch-Illustrationen. Über die Zeit in Holland hat Werner Klemke nie gesprochen, nicht einmal mit seinen Kindern. Anscheinend wusste nur seine Frau Bescheid.
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