Drama | Schweden/Deutschland 2015 | 95 Minuten

Regie: Sanna Lenken

Eine Zwölfjährige an der Schwelle zur Pubertät entdeckt, dass ihre ältere Schwester, ihr großes Vorbild und eine talentierte Eiskunstläuferin, magersüchtig ist. Das Ansinnen, die Eltern einzuweihen, wird von der Älteren brüsk zurückgewiesen. Zwischen Loyalität und Sorge hin- und hergerissen, gerät das Mädchen selbst zunehmend in Nöte. Der inhaltlich wie ästhetisch auf ganzer Linie überzeugende Film präsentiert keine einfachen Lösungen oder Schuldzuweisungen, sondern schildert das Drama konsequent aus der Perspektive der Jüngeren. Der Film überzeugt nicht nur durch die Genauigkeit im Umgang mit der Essstörung, sondern auch in der lebendigen Beschreibung einer schwierigen Geschwisterbeziehung. - Sehenswert ab 10.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
MIN LILLA SYSTER
Produktionsland
Schweden/Deutschland
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Tangy/Fortune Cookie/ZDF/ARTE/Sveriges Television/Film i Väst/STORY
Regie
Sanna Lenken
Buch
Sanna Lenken
Kamera
Moritz Schultheiß
Musik
Per Störby Jutbring
Schnitt
Hanna Lejonqvist
Darsteller
Rebecka Josephson (Stella) · Amy Deasismont (Katja) · Henrik Norlén (Lasse) · Annika Hallin (Karin) · Maxim Mehmet (Jacob)
Länge
95 Minuten
Kinostart
24.09.2015
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 10.
Genre
Drama
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Eine Zwölfjährige an der Schwelle zur Pubertät entdeckt, dass ihre ältere Schwester, ihr großes Vorbild und eine talentierte Eiskunstläuferin, magersüchtig ist.

Diskussion
Erst lässt sie Stella einfach draußen stehen, weil sie unbedingt weiterjoggen möchte, weiterjoggen muss. Dann flippt Katja aus, weil jemand ihr Ei gegessen hat. Ihr Ei, das sie extra beschriftet hatte und das sie jetzt unbedingt braucht! Immer häufiger benimmt sich Stellas Schwester Katja so seltsam. Verzweifelt wegen Kleinigkeiten, ist kalt und gemein zu Stella – und kurze Zeit später wieder die liebe große Schwester, die sich bei Stella entschuldigt und mit ihr herumalbert. An ihrem Geburtstag erfährt Stella den Grund für Katjas Verhalten: Stella beobachtet, wie Katja auf der Restauranttoilette heimlich ihr Essen wieder erbricht. Doch Katja schwört Stella auf Verschwiegenheit ein, selbst dann noch, als sie beim Eiskunstlauftraining zusammenbricht. Sollte Stella irgendjemandem etwas erzählen, würde Katja auch Stellas größtes Geheimnis verraten: dass diese in Katjas Trainer verliebt ist und schmachtende Gedichte in ihr Tagebuch schreibt. Also wahrt Stella Katjas Geheimnis, beginnt für sie zu lügen. Zugleich aber macht sie sich immer größere Sorgen um deren Gesundheit: Was, wenn Katja stirbt? „Stella“ ist einer dieser raren Glücksfälle im Kino, die sofort in jede Kinderfilm-Klassikerliste aufgenommen werden können. Dank der klugen Entscheidung, Katjas Problem aus der Perspektive der jüngeren Schwester zu zeigen, gelingt dem Film der schwierige Balanceakt, sein junges Publikum nicht zu überfordern und trotzdem nie die dramatischen Konsequenzen von Katjas Erkrankung herunterzuspielen. Bereits 20 Prozent der Elf- bis 17-Jährigen in Deutschland zeigen laut eines Gesundheitssurveys des Robert-Koch-Instituts Symptome einer Essstörung – eine erschreckende Zahl, die deutlich macht, wie wichtig es ist, diese Thematik auch Kindern in ihrer ganzen Drastik näher zu bringen. Nicht minder klug ist die Entscheidung, den Film nicht mit der Aufdeckung des Geheimnisses enden zu lassen. Dass die Gefahr erkannt wurde, heißt nämlich noch längst nicht, dass sie auch gebannt wurde: Auf Katjas eindringliches Bitten hin versuchen die Eltern, das Problem zunächst allein zu lösen – und verzweifeln zunehmend ob ihrer Machtlosigkeit. Stella leidet darunter, sich von ihren Eltern noch weniger als sonst beachtet zu fühlen. Und sie leidet mit ihrer Schwester, für die es offenbar eine unüberwindbare und quälende Hürde ist, auch nur einen Schluck Wasser zu trinken. „Stella“ bietet weder einfache Lösungen noch einfache Schuldzuweisungen. Auch dass Katjas kleine Schwester die Last ihres Geheimnisses so lange allein tragen muss, wird glaubhaft vermittelt, ohne die erwachsenen Figuren zu diskreditieren. Katja findet Ausreden, um nicht essen zu müssen. Als Eiskunstlauftalent fällt ihr intensiviertes Training nicht weiter auf, Stimmungsschwankungen sind dem Klischee nach bei Pubertierenden ohnehin an der Tagesordnung, und als Katja zusammenbricht, erklärt Stella dies dem Trainer mit einer Viruserkrankung. Die Genauigkeit, mit der Regisseurin Sanna Lenken Katjas Verhalten zeigt, rührt auch daher, dass sie selbst als Teenager an einer Essstörung litt und weiß, wovon sie erzählt. „Min lilla syster“ (Meine kleine Schwester) heißt das Kinofilmdebüt im Original, was deutlich macht, dass nicht nur die Krankheit im Mittelpunkt steht, sondern auch die Geschwisterbeziehung. Lenken findet Bilder und Situationen, die die feinen Nuancen im Umgang der Schwestern miteinander zeigen, in der sich Bewunderung und Ablehnung, innige Verbundenheit und Abgrenzung nicht gegenseitig ausschließen. Die kleine Schwester Stella erweist sich dabei gleich in zweifacher Hinsicht als sensationell: dramaturgisch, da sie durch ihr zupackendes, fröhliches Wesen einen Ausgleich zur Situation von Katja schafft und eine Leichtigkeit in den Film bringt, die es Kindern besser ermöglicht, sich mit der schweren Thematik auseinanderzusetzen; aber auch durch die Besetzung mit Rebecka Josephson, die so ansteckend lachen kann, dass man sich sofort in sie verliebt – und so verzweifelt in Tränen ausbrechen kann, dass man sie sofort in den Arm nehmen und trösten möchte. In diesem inhaltlich wie formalästhetisch auf ganzer Linie überzeugenden Film ist die phänomenale Jungdarstellerin das Kronjuwel.
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