Die Anfangssequenz ist eine fließende Bewegung vom Makro- in den (technischen) Mikrokosmos: Man sieht die Erde, die im Dunkel des Alls wirkt, als wäre sie in einen schimmernden Kokon eingewoben; näher an der Oberfläche erkennt man beleuchtete Straßen, die sich wie Adern über das Land spannen. Die Kamera hält auf ein Kernkraftwerk zu, gleitet hinein und schlüpft schließlich ins Innere der Rechner, in die Kabel und Relaix’, durch die Informationen als bläuliche Lichtfunken jagen. Alles ist vernetzt – und alles ist zugänglich, wenn man nur den richtigen Code besitzt. Irgendwo drückt ein Finger auf eine „Enter“-Taste; kurz darauf fällt in dem Kernkraftwerk das Kühlsystem aus und es kommt zu einem verheerenden Reaktorunfall.
Michael Mann hat den Stoff um „Blackhat“-Hacker – Leute, die in Computersysteme „einbrechen“ und sie mit krimineller Absicht manipulieren – gründlich recherchiert. Die Inspiration für die Geschichte lieferte der Computerwurm Stuxnet, ein Schadprogramm, mit dem sich Steuerungssysteme von Industrieanalgen sabotieren lassen. Was für Folgen das haben kann, zeigt die fulminante dialoglose Anfangssequenz. Betroffen ist ein chinesisches Kernkraftwerk. Dem zuständigen Experten einer „Cyber-Defense“-Einheit, Chen Dawai, ist klar, dass er es mit einem Anschlag zu tun hat; was damit bezweckt wird, weiß Chen allerdings nicht. Handelt es sich um politische Motive? Aufklärung erhofft sich Chen von einer Zusammenarbeit mit den Amerikanern, die ähnliche Angriffe bislang vereitelt konnten. Dort büßt auch ein „Blackhat“-Hacker seine Zeit im Knast ab, den Chen noch vom Studium am MIT kennt: Nicholas Hathaway, ein Computer-Genie und der Erfinder jenes Codes, der bei der Sabotage des Atomkraftwerks missbraucht wurde. Trotz des Misstrauens der US-Behörden lässt sich das FBI auf den Deal ein, mit Chen gemeinsame Sache zu machen und Hathaway ins Team zu holen. Ihm wird ein Straferlass in Aussicht gestellt, sollte es gelingen, die Schuldigen dingfest zu machen.
Computerexperten wie Hathaway haben sich in den letzten Jahren als populäre Helden etabliert; aktuell glänzt beispielsweise Benedict Cumberbatch in „The Imitation Game“
(fd 42 864) mit Eigenschaften, die mit diesem Typus assoziiert sind: hochintelligent bei allem, was mit Nullen und Einsen zu tun hat, aber ungeschickt bis soziopathisch im Umgang mit anderen (vor allem mit Frauen), stark im Kopf, aber körperlich eher schwach. Michael Mann bricht in der Konturierung von Hathaway jedoch radikal mit diesem „Nerd“-Muster. Gespielt von Chris Hemsworth, steht die Figur dessen Superheld „Thor“ körperlich ins nichts nach: Hathaway sieht nicht aus wie jemand, der sein Leben hinter Computerbildschirmen verbracht hat, sondern muskulös und hünenhaft wie ein Kriegsgott. Was ihn zum Kämpfen ebenso prädestiniert wie zur Liebe.
Die Entscheidung, Hathaway neben seinen kognitiven Vorzügen auch mit einer imponierenden physischen Präsenz auszustatten, könnte als unrealistisch abgetan werden. Doch es passt dazu, dass Michael Mann sich generell zum Ziel gesetzt zu haben scheint, das Greifbare, Körperliche gegen das Digitale zu verteidigen: Sein Film über die Virtualisierung von Verbrechen setzt ganz entschieden auf Körperlichkeit und Sinnlichkeit.Das zeigt sich in den gewohnt handfesten Shoot-outs, in den Liebesszenen zwischen Hathaway und der Schwester seines chinesischen Freundes wie auch in Momenten des Innehaltens, wenn Hathaway auf dem Weg in die Freiheit kurz stehen bleibt, um die Weite der flachen Landschaft auf sich wirken zu lassen. Dass der Tatort zunächst der Cyberspace ist, mag eine zusätzliche Dimension des Verbrechens sein, doch die zentrale Dimension ist für Mann immer noch die sichtbar-greifbare, reale Welt: dort wirken sich die „Kollateralschäden“ der „virtuellen“ Anschläge aus, und dort haben sie auch ihre Quelle – einen menschlichen Geist in einem menschlichen Körper.
Auf diesen macht Hathaway Jagd, über mehrere Kontinente hinweg. Virtuelle Spuren führen ihn zu realen Orten, in kühle Stadtlandschaften, wo blutige Gefechte ausgefochten werden. Im Showdown kulminiert die physische Action schließlich in einer fiebrig-brutalen Massenszene, die an die atemberaubende Disco-Szene aus „Collateral“
(fd 36 686) erinnert. Als Gegenspieler kristallisiert sich dabei eine Figur heraus, die Hathaway insofern ähnelt, als beide Cyber-„Outlaws“ äußere Einschränkungen ihrer Freiheit vehement ablehnen. Mit den Sicherheitsinstitutionen, dem Militär oder den Geheimdiensten, die die Handlungsspielräume in der vernetzten Welt überwachen wollen, macht Hathaway zwar gemeinsame Sache, doch ist das nur Mittel zum Zweck, um seine Freiheit zurückzukaufen. Während Hathaway sich jedoch durch sein Ethos selbst Grenzen setzt, nutzt sein Gegner den virtuellen Handlungsspielraum seiner Fähigkeiten, um sich ohne Rücksicht auf Verluste oder moralische Verantwortung zu bereichern. „Blackhat“ bestraft ihn dafür ästhetisch: Während Hathaways körperliche Präsenz, seine Interaktion mit den Räumen und Mitspielern den Film prägen, ist sein Gegner weitgehend zur Unsichtbarkeit verdammt: Nur ein Finger auf der „Enter“-Taste.