Die scheinbar endlosen Weiten der russischen Tundra, durch die riesige Rentierherden traben, geben imposante Bilder einer unberührten Natur ab, die man im Dokumentarfilm sucht, aber auch schon hundertfach gesehen hat. Auch die Mitglieder der indigenen Ur-Bevölkerung der Samen, die von Norwegen bis Russland nördlich des Polarkreises in der Tundra leben, haben bei solchen Produktionen schon öfters vor Kameras gestanden. Von daher bietet „Die Hüter der Tundra“ nicht unbedingt etwas Neues; sehenswert ist der Film gleichwohl, weil er vor allem durch seine Protagonisten überzeugt. Allen voran die 30-jährige Sacha, die mit ihrer Familie in dem 500-Seelen-Dorf Krasnoschtschelje auf der Halbinsel Kola lebt. Wie viele der Bewohner macht sie sich Sorgen um die Zukunft des Ortes, aber sie ist offenbar die einzige, die gegen die Bedrohungen kämpft. Die sind durchaus real. Zum einen hat der russische Staat nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion den Samen alle Unterstützungen gestrichen, zum anderen gestattet er Firmen, ohne jegliche Auflagen im Tagebau die Bodenschätze der Tundra auszubeuten. Was mehr über kurz als lang die Weidegründe der großen Rentierherden bedroht, die die Lebensgrundlage der Samen bilden.
Der Film begleitet Sasha bei ihrem Kampf im Samen-Parlament in Murmansk oder reist mit ihr im Auto nach Norwegen, wo sie sich Nachhilfe in Sachen Widerstand holt. Die meiste Zeit verbringt Sacha aber mit ihrem Ehemann, einem Hirten, und ihrer kleinen Tochter mit alltäglichen Verrichtungen im Dorf. Die zeugen vom beschwerlichen, auch kargen Dasein bei eisigen Temperaturen, aber auch vom zufriedenen Leben im Einklang mit der Natur. Der Dokumentarist René Harder, der ein ganzes Jahr in Krasnoschtschelje verbrachte, kommt seinen Protagonisten bemerkenswert nahe, was viele intime Momente des familiären Lebens bezeugen. Die Hauptakteure erweisen sich dabei nicht durchweg als zerknirschte Zeitgenossen, sondern lassen allen Problemen zum Trotz immer mal wieder ihre ungebrochene Vitalität und ihren Humor aufblitzen. Mit dem traditionellen Hirtenfest, bei dem Sachas Bruder endlich eine Frau zu finden hofft, findet „Die Hüter der Tundra“ zu einem dramaturgisch-emotionalen Höhepunkt. So besticht der Film, der alle Naturschönheiten imposant in Szene setzt, durch eine gekonnte Mischung aus Personenporträts, nüchterner Bestandsaufnahme und wehmütiger Poesie. Womit er weit mehr vermittelt als die gängigen (Fernseh-)Dokumentationen vom beschwerlichen Leben jenseits des Polarkreises.