Café Olympique - Ein Geburtstag in Marseille

Drama | Frankreich 2014 | 92 Minuten

Regie: Robert Guédiguian

Eine nicht mehr ganz junge Frau aus Marseille wird an ihrem Geburtstag von ihrer Familie versetzt und wagt daraufhin die Flucht aus ihrer bisherigen Welt. Sie begegnet eigenwilligen Charakteren und einer sprechenden Schildkröte, wächst über sich hinaus und findet ihre Erfüllung als Sängerin. Die mit Leichtigkeit und viel Fabulierfreude inszenierte Entwicklungskomödie setzt auf groteske, verfremdende Effekte, bedient sich augenzwinkernd bei der griechischen Mythologie und träumt ungeniert von einer besseren Welt. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
AU FIL D'ARIANE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Agat Films & Cie/Chaocorp/Canal+/Ciné+
Regie
Robert Guédiguian
Buch
Robert Guédiguian · Serge Valletti
Kamera
Pierre Milon
Musik
Eduardo Makaroff · Christoph Müller
Schnitt
Armelle Mahé · Bernard Sasia
Darsteller
Ariane Ascaride (Ariane) · Jacques Boudet (Jack) · Jean-Pierre Darroussin (Taxifahrer) · Anaïs Demoustier (Martine) · Gérard Meylan (Denis)
Länge
92 Minuten
Kinostart
25.12.2014
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
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Diskussion
Es ist ein verlockender Traum, einmal aus dem Alltagstrott ausbrechen zu können. Zumal wenn eine Ehefrau und Mutter begreift, dass ihr Geburtstag von der eigenen Familie längst nicht so wichtig genommen wird, wie sie es sich wünscht. So verlässt Ariadne ihre weiße, durchgestylte Wohnanlage, die einer am Computerreißbrett entworfenen Architektenidee vom ‚Schönerwohnen’ entsprungen sein könnte, wo sie eben noch für die Feier im Kreise ihrer Liebsten einen duftenden Kuchen buk und schaumige Cremes anrührte. Nachdem die Heldin Absage um Absage einstecken und pflichtschuldige Blumengebinde entgegennehmen musste, fährt sie allein mit ihrem grünen Mini ans Meer. Draußen scheint auf die schon etwas reifere Dame eine sinnenfrohe, bunte Welt geradezu gewartet zu haben. Ein multikulturelles Grüppchen von Menschen vertreibt sich in einem ätzenden Stau schon einmal die Zeit des Wartens mit arabischen Weisen und Tanz. Da lässt sich Ariadne doch gern von einem schönen Jüngling zum Essen in das titelgebende Lokal verführen. Nur um dann im ‚Olymp’ der leiblichen Genüsse feststellen zu müssen, dass der ‚flirtende Lover in spe’ gar keiner, sondern lediglich ein Restaurantschlepper ist. Um sie herum scharen sich noch weitere ältere Herrschaften, die er ebenfalls in das Café gelotst hat. Es gibt eben auch Abgründe in der zum Abenteuer einladenden Welt. Trotzdem zieht sie dieser Ort voller kauziger Typen magisch an. Robert Guédiguian hat mit seinem bewährten Schauspielerteam, insbesondere seiner Ehefrau Ariane Ascaride und Jean-Pierre Darroussin, die Geschichte einer weiblichen Midlife-Crisis inszeniert. Pate stand ihm dafür die griechische Mythologie, das Drama von Ariadne, Theseus und Dionysos wie auch der Antigone-Mythos, womit er den Wertekosmos seiner Heldin zu einem überzeitlichen erhöht. So landet die liebesenttäuschte Ariadne in dieser quasi isolierten Lokalität, in der sich noch andere Unglücksraben treffen und gibt ihnen den Faden in die Hand, so dass sie sich aus ihren festgefahrenen Ansichten oder Seelenlabyrinthen befreien können. Und im Wirken für deren Wohl kann sie auch ihre Selbstverwirklichung betreiben. Doch genauso gut könnte es sich bei der weiblichen Heldin auch um eine erwachsene Momo im Kampf gegen die grauen Lebenszeitverwerter aus Michael Endes gleichnamigem Kinderbuch handeln, das in Frankreich ebenfalls veröffentlicht wurde. Mit Hilfe des Beistandes einer sprechenden Schildkröte richtet die alleingelassene Ariadne ihre Aufmerksamkeit auf ihre Mitmenschen, beglückt sie, schafft Solidarität, indem sie sich mit großer Freundlichkeit gegen entfremdete Beziehungsformen der kapitalistischen Gesellschaft wendet, wie etwa gegen die Prostitution der jungen Lola, und kann so schließlich symbolträchtig auf der Bühne vor antiker Tempelruine selbst ihre Erfüllung finden. Überhaupt verneigt hier der Regisseur sein Haupt vor vielen seiner geschätzten Kollegen, allen voran dem Chansonnier Jean Ferrat, vor Literaten und Filmemachern. So hat er beispielsweise die Trevi-Brunnen-Szene aus „Das süße Leben“ (fd 9260) von Federico Fellini bildlich neu interpretiert. In der Figur der Ariadne bündeln sich Guédiguians Sehnsüchte nach einer anderen Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Bei der Heldin handelt es sich gleichsam um eine Art Frauentypus wie ihn auch Fellinis Ehefrau Giulietta Masina beispielsweise in „Die Nächte der Cabiria“ (fd 6276) auf der Leinwand verkörperte. Er verschmilzt die Figur einer Verlassenen mit der romantischen Kindheitsidee; eine einsame Frau, an der Welt leidend, jedoch versehen mit einem heiteren Gemüt, steht naiv, kindlich staunend, als göttliches Abbild ein für die Idee eines besseren Menschen. Die weibliche Entwicklungsreise hat der Filmemacher mit großer Fabulierlust und Leichtigkeit inszeniert. Ihr fehlt jede Schwere. Auch wenn mit großem Getöse ein Schiffsuntergang bebildert wird, lotet sie nicht eine existenzielle Krise und die Mühen einer Neuorientierung aus, sondern setzt auf groteske, verfremdende Effekte. Damit vermag es Guédiguian mit seinem Film auch nicht, einen neuen Mythos zu kreieren. Dazu bedürfte es tatsächlich großer Emotionen, wirklichem Schmerz, und tragischer Kämpfe. Indes weiß offenbar der schon altersweise Regisseur darum, wie das Ende seines Films signalisiert, dass er einem allzu schönen Menschheitstraum nachhängt. Doch in der Weihnachtszeit lässt man sich davon gerne verführen.
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