Drama | Großbritannien 2013 | Minuten

Regie: Anthony Byrne

Birmingham im Jahr 1919: Traumatisiert von den Erlebnissen im Ersten Weltkrieg, versucht der Kopf eines kriminellen „Familienunternehmens“, die Geschäftsbereiche seiner Gangsterbande aufs Gebiet legaler Pferdewetten auszudehnen. Ein harter Cop, den ein aus dem Ruder gelaufener Coup in die Stadt geführt hat, droht zur Gefahr zu werden, doch angesichts von Kommunisten, der IRA und anderen Gangstern läuft alles auf ein Arrangement hinaus. Über sechs Staffeln entwickelt die Gangsterserie von diesem Startpunkt aus ein packendes Familienepos um eine konfliktreiche kriminelle Karriere. Dabei beeindruckt sie nicht zuletzt durch die geschickte Einbettung des fiktiven Genre-Stoffs in den realen politisch-historischen Kontext. Reich an Schauwerten, bezieht der in den Actionszenen und Shoot-outs wohldosierte Serienstoff seine Spannung vor allem aus den Reibungen zwischen den vielschichtigen Charakteren. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
PEAKY BLINDERS
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Caryn Mandabach Prod./Tiger Aspect Prod.
Regie
Anthony Byrne · Colm McCarthy · Otto Bathurst · Tim Mielants · Tom Harper
Buch
Steven Knight · Stephen Russell · Toby Finlay
Kamera
George Steel
Musik
Mearl · Martin Phipps
Schnitt
Christopher Barwell · Mark Eckersley
Darsteller
Cillian Murphy (Tommy Shelby) · Helen McCrory (Tante Polly Gray) · Sophie Rundle (Ada Shelby) · Joe Cole (John Shelby) · Aimee-Ffion Edwards (Esme Shelby)
Länge
Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Gangsterfilm | Historienfilm | Serie

Heimkino

Verleih DVD
Koch (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Koch (16:9, 1.85:1, dts-HDMA engl./dt.)
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Familiensaga, Gangsterdrama und metaphysische Heldenreise im Gewand eines postapokalyptischen Steampunk-Westerns: Eine Serie um ein kriminelles "Familienunternehmen", das nach dem Ersten Weltkrieg in Birmingham seinen Einflussbereich stetig zu expandieren beginnt und dadurch in einen wechselvollen Kleinkrieg mit konkurrierenden Banden und der Polizei gerät.

Diskussion

 Gegen den dunkel verhangenen Himmel ist kaum zu erkennen, ob Schnee oder Asche in dicken Flocken herabfällt. Hier in den englischen West Midlands, am Rande des nach dem Kohle- und Eisenabbau „Black Country“ getauften Gebiets, ist in den späten 1910er-Jahren beides denkbar. Birmingham ist Zentrum der Metallverarbeitung und somit der industriellen Revolution. Das Arbeiterviertel Small Heath ist grau von den Schloten, trist von den Lebensbedingungen und ausgebrannt vom kürzlich beendeten Weltkrieg.

Zwischen die Flocken mischen sich in den Häuserzeilen immer wieder Funken, die aus den offenen Fabriktoren sprühen. Wie durch einen Vorhang aus Feuerwerk schreiten Männer in Anzugwesten und feinen Mänteln an den verschwitzten Arbeitern vorbei – der Schatten ihrer Schiebermützen fällt ihnen über die Augen, doch irgendwie kann man den lauernden Blick darunter erahnen. Lässig ziehen sie an ihren Zigaretten und gehen mit bestimmtem Schritt in die Lagerhallen, um in einem Hinterzimmer eines ihrer Geschäfte abzuwickeln: die „Peaky Blinders“.

Sozialdrama im Gewand eines Steampunk-Western

Diese Tristesse ist der Stoff, aus dem klassische Sozialdramen entstehen, doch der britische Drehbuchautor und Showrunner Steven Knight macht daraus Familiensaga, Gangsterdrama und metaphysische Heldenreise in einem und verleiht dem Ganzen das Gewand eines postapokalyptisch angehauchten Steampunk-Westerns. Pferdewetten, Schmugglerware, Waffen, das ist das Geschäft der Peaky Blinders, der gleichermaßen gefürchteten und respektierten Birminghamer Gangster-Familie um den Kriegsveteranen Thomas Shelby (Cillian Murphy). Nach sechs Staffeln und neun Jahren ist die Serie im Juni 2022 vorerst zu Ende gegangen, doch einige der mittlerweile unzähligen Handlungsstränge hängen regelrecht knisternd in der Luft. In einem Interview hat Knight im Frühjahr 2022 bereits angekündigt, dass Spin-offs und weiterführende Filme im Gespräch sind.

Der Erfolg der Serie lief nur schleichend an. Nach der ersten Staffel sprachen britische Medien von deprimierendem Realismus und einer bedrückenden Kraftlosigkeit. Doch das unterschwellige Brodeln, das in den langsam sich entwickelnden Handlungssträngen von Anfang an spürbar ist, entfaltet über die sechs Staffeln hinweg immer wieder einen betörenden Sog: Slow-Burn-Drama und affektgeladene Gewaltausbrüche schaukeln sich gegenseitig hoch. Der große Spannungsbogen verläuft von einem Waffendeal, der den Peaky Blinders 1919 zufällig vor die Füße fällt und die Aufmerksamkeit von Winston Churchill erregt, bis zur Mitte der 1930er-Jahre, als der Nationalsozialismus über Europa schwappte und auch in Großbritannien Anhänger fand. Tommy Shelby sitzt mittlerweile für die Labour Party im Parlament, bandelt aber geschäftlich mit Oswald Mosley (teuflisch schick gespielt von Sam Claflin), dem Anführer der „British Union of Fascists“, an, um diese zu infiltrieren.

Tommy Shelby: Ein machiavellistischer Antiheld

Mastermind Steven Knight stammt selbst aus Small Heath. Die Geschichten von den realen Vorbildern der Shelbys bekam er von seinen Eltern erzählt. Aus einer gleichnamigen Straßengang, die um 1890 Birmingham unsicher machte, wurde in hundertfacher Wiederholung und Überhöhung eine eigene Mythologie um das Leben dieser verruchten Selfmade Men, die sich immer nahmen, was sie brauchten. Die Shelby-Familie der Serie ist zwar fiktional, doch speist sie sich aus diesen Erzählungen. Tommy Shelby ist ihr machiavellistischer Antiheld, für den der Zweck immer die Mittel heiligt.

Die Inszenierung als verruchter Gentleman-Gauner wiederholt sich deshalb unzählige Male: Tommy allein auf einem Pferd durch Small Heath reitend oder mit seinen engsten Vertrauten, seinen Brüdern Arthur und John, beim Einlauf im „Garrison“, dem Pub, das er nach dem ersten finanziellen Erfolg kurzerhand gekauft hat. Immer in Zeitlupe wirken diese Auftritte eher dem Steampunk- Musikvideo einer Rockballade aus den 1980er-Jahren entsprungen, weniger wie die von Gangstern aus einem historischen Drama. Ebenso sind die immer wieder angezettelten Straßenkämpfe mit der Polizei oder anderen Gangs choreografiert wie brutale Tänze zu rauen Blues-Sounds von Nick Cave, in denen die Peaky Blinders mit den in ihren Mützen eingenähten Rasierklingen die Gesichter der Gegner zerschneiden. James Ivory trifft hier ästhetisch auf Quentin Tarantino, wenn man so will. Der Sozialrealismus der 1920er-Jahre in Birmingham ist nur noch in den sozialistischen Reden vorhanden, die Tommy Shelby mit Fortschreiten der Serie immer mehr schwingt, um sich auch politisch für seinen Stadtteil einzusetzen, natürlich nicht ohne seinen eigenen Vorteil daraus zu ziehen.

Die Frau hinter den harten Jungs

Die politischen Untertöne ziehen sich durch sämtliche Ebenen der Serie: Shelbys Schwester Adas (Sophie Rundle) marxistische Überzeugungen weichen später Pelzmänteln von Chanel, doch ihre Position nutzt sie gewitzt und charmant im Schlagabtausch mit Mosleys auffällig blauäugig-blonder Geliebten. Zentrale Frauenfigur ist von Anfang an Tante Polly, die Schwester der lange verstorbenen Mutter – süffisant lebensklug gespielt von der wunderbaren Helen McCrory, die nach ihrem frühen Tod 2021 zu Beginn der sechsten Staffel eine schöne Hommage bekommt. Neben Tommy hat immer Polly die Zügel in der Hand, und ein familieninterner Machtkampf bleibt nicht aus. Doch vor allem ist sie im sonst von Männern dominierten Unternehmen eine Frau, die ihre eigene Agenda nicht hintenanstellt und mit Geschäfts- und Familiensinn die Firma zusammenhält.

In der dritten Staffel zettelt sie gemeinsam mit Johns Ehefrau Esme einen Streik an, um arbeitsrechtlichen Schutz für Schwangere und mehr Berufschancen für Frauen zu erringen. Sind die Geliebten, Ehefrauen, Schwestern und Tanten sonst als zwar für sich gesehen starrsinnige Figuren aufgetreten, erstreiten sie sich hier ihren ersten Auftritt in Zeitlupe: mit Gehrock, Zigarette und ebenfalls die Augen verschattender Sonnenbrille marschiert sie mit ihren Genossinnen in den Kampf – fortan wird nicht nur sie an Tommys Seite über die Familienangelegenheiten entscheiden.

Eine der ikonischsten Serienfiguren der 2010er-Jahre

Der Wechsel zwischen plakativer Inszenierung und subtilen Untertönen gelingt Steven Knight prächtig und verleiht den Figuren über die Zeit hinweg immer mehr Tiefe – sei es dem immer tragischer den Drogen verfallenden Bruder Arthur (Paul Anderson), Pollys Sohn Michael Gray (Finn Cole), der von Tommys Zögling zu einem seiner erbittertsten Widersacher wird, oder dem jüdischen Bandenanführer Alfie Solomons, dem Tom Hardy als Teufelsadvokat eine regelrechte Show in der Show abverlangt. Allen voran natürlich Tommy Shelby selbst: ausgezehrt von traumatischen Kriegserlebnissen, die ihn nachts immer wieder heimsuchen ebenso wie vom vereitelten Anschlag auf ihn selbst, dem jedoch seine erste Ehefrau Grace zum Opfer fiel, treibt ihn eine Mischung aus Todessehnsucht und Machtwillen an.

Cillian Murphy hat ihn zwischen verhärmtem Kriegsversehrten, abergläubischem Kleinbürger und charmantem und doch sturem Paten mit eiserner Hand zu einer der ikonischsten Serienfiguren der 2010er-Jahre gemacht. Letztlich stellt er selbst fest, dass Oswald Mosley möglicherweise der eine Gegner sei, den er nicht bezwingen könne – und er sagt das so, als hätte er schon lange auf diese Person gewartet.

Jenseits des Rationalen

Diese Haltung kommt nicht von ungefähr, denn die abgöttisch verehrte Mutter entstammte einer Roma-Familie, und sowohl Polly als auch Tommy sind den selbst von ihren Familienmitgliedern als Gypsy-Aberglauben abgetanen Geschichten und Wahrsagereien zugewandt. Inszenatorisch für Knights Team ein gefundenes Fressen, denn die quasireligiöse Wahrheit der Shelbys wird hier zum Gegenpol der rationalen Welt, verschwimmt bisweilen mit Tommys Kriegs-Albträumen und seinem schlechten Gewissen all jenen gegenüber, die für seine Gaunereien ihr Leben lassen mussten. Ein verwunschener Smaragd wird da schnell zur Erbsünde und letztlich für den Tod eines Kindes verantwortlich gemacht. Für Tommy ist es der Erweckungsmoment, in dem er schwört, fortan ein guter Mensch zu werden. Doch natürlich steckt auch nach der Wandlung, die er im Lauf der Serie durchmacht, der kleine Ganove aus Small Heath zu tief in diesem Parlamentarier mit OBE, dem königlichem Ritterorden: dramaturgisch möglicherweise eine Dauerschleife, doch in dieser klug aus Gangster-Drama, Familiensaga, historischem Sozialrealismus und metaphysischen Erfahrungen gewobenen Serie einer der Motoren, die auch die geplanten Spin-offs am Laufen halten, ohne in einen Trott zu verfallen.

 

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