Der Leichnam, der ans Ufer des Starnberger Sees gespült wird, sieht gerade so aus wie der „Kini“, der mythenumwobene König Ludwig II. von Bayern. Er trägt die gleiche Kleidung, hat die gleichen rechtsmedizinisch feststellbaren Merkmale: „stark kariöses Gebiss, heftige Adipositas“, und stellt die polizeilichen Ermittler vor dieselbe Frage, die beim historischen König bis heute ungeklärt ist: Mord oder Selbstmord? Da entfährt dem Starnberger Polizeichef Lu Reinhold (Andreas Giebel als imposante Verkörperung bajuwarischer Coolness) der Satz: „Das beeindruckt mich jetzt auch mal!“
„Man darf Klischees nicht dienen, man muss sich ihrer bedienen!“ So formulierte Alfred Hitchcock die Maxime, der auch Dominik Graf (Regie) und Sathyan Ramesh (Drehbuch) bei ihrem „Starnbergkrimi“ folgen. Zwei Klischees umlagern den idyllisch im Voralpenland gelegenen Starnberger See: dass er ein Biotop der Superreichen ist, und dass er mit dem „Märchenkönig“ seine berühmteste Wasserleiche hat. Daraus werden zwei Handlungsstränge geflochten, zwei „Fälle“, die Lu Reinhold und seine neue Polizeimeisteranwärterin Ariane (Annina Hellenthal) zu lösen haben.
Aus Dominik Grafs Großstadtkrimis kennt man den Stakkato-Rhythmus, die actiongeladenen SEK-Einsätze, die messerscharfe Zeichnung der Unterwelt-Milieus. In „Die reichen Leichen“ ist alles auf faszinierende Weise anders: poetische Landschaftsstimmung, anekdotisch erzählte Ermittlungsarbeit, untergründige erotische Spannungen, ausschweifende Fantasie. Die „Kini“-Story beginnt satirisch und steigert sich zur bizarren Groteske, wenn besonders abgefahrene Fans des „Märchenkönigs“ in Ku-Klux-Klan-Manier auftreten. Die Geschichte aus dem Milieu der Superreichen erzählt von einem skrupellosen Emporkömmling, der seine Ex-Frau um 5 Millionen Euro betrügen will. Graf verkürzt die Intrige und konzentriert sich auf ein zartes, einfühlsames Porträt der Frau, die ihren Kummer in Alkohol ertränkt. So setzt er immer wieder Akzente konträr zu dem, was die gängige Erzähllogik erwarten ließe. Musikalisch gesprochen: Graf ist ein Meister des Kontrapunkts.
Bisweilen scheinen die beiden Geschichten, die aus den beiden Starnberg-Klischees hervorgeholt werden, zu zerflattern. Doch im nächsten Akkord fügen sie sich wieder zusammen. Einmal heißt es: „Das war jetzt merkwürdig, du hast das Wort ‚Leidenschaft‘ so leidenschaftslos ausgesprochen.“ Graf aber erzählt leidenschaftlich von der Leidenschaft, von der kuriosen Passion der „Königstreuen“ ebenso wie vom gebrochenen Herzen der betrogenen Frau.