Der große Demokrator

Dokumentarfilm | Deutschland 2013 | 86 Minuten

Regie: Rami Hamze

Die Dokumentation eines sozialen Experiments: Ein Kölner Filmemacher stellt den Einwohnern eines Problemviertels 10.000 Euro an Spenden zur Verfügung, damit diese ein Projekt ihrer Wahl umsetzen können, das dem Allgemeinwohl dienen soll. Dabei muss er erkennen, dass er trotz aller Bemühungen mit seinem engagierten Plan nur einen kleinen Teil der Bevölkerung erreicht. Ein inszenatorisch bescheidener, vor allem dank der Persönlichkeit des omnipräsenten Regisseurs aber ebenso unterhaltsamer wie spannender Dokumentarfilm über die Schwierigkeit basisdemokratischen Engagements. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
HUPE Film- und Fernsehprod. (für WDR)
Regie
Rami Hamze
Buch
Rami Hamze
Kamera
Janis Mazuch
Schnitt
Matthias Stoll
Länge
86 Minuten
Kinostart
02.10.2014
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Der Stadtteil Köln-Kalk hat schon bessere Tage gesehen. In den letzten Jahrzehnten hat sich das ehemalige Industrie- und Arbeiterviertel zu einem strukturschwachen Stadtteil mit hoher Arbeitslosigkeit und vielen Migranten gewandelt. Die einen sehen Kalk inzwischen nur noch als sozialen Brennpunkt, während andere das Viertel wegen seiner zentralen Lage, der niedrigen Mieten und seiner Multi-Kulti-Struktur für ein aufstrebendes Viertel halten. Kein Wunder also, dass sich der Kölner Filmemacher Rami Hamze dieses Gebiet für sein Experiment „Kalk für alle“ auswählte. 10.000 Euro, die er über private Spenden sammelte, möchte er Kalker Bürgern für ein Projekt zur Verfügung stellen, das dem Allgemeinwohl dienen soll. Wie das Projekt aussehen könnte, sollen die Bewohner selbst entscheiden. Der Initiator stellt ihnen in einem angemieteten Büro lediglich einen Raum für regelmäßige Treffen zur Verfügung. Ein soziales Experiment über Basisdemokratie als Gegenstand eines Dokumentarfilms? Das mutet nicht unbedingt spannend und schon gar nicht unterhaltsam an. Doch „Der große Demokrator“ ist überraschenderweise beides. Seine Unterhaltungsqualität hat vor allem mit dem Filmemacher zu tun, der nahezu in jeder Sequenz mit im Bild ist und sich dabei wunderbar auf dem schmalen Grat zwischen Engagement und (selbst-)ironischer Distanz bewegt. Einerseits ist es dem gebürtigen Palästinenser durchaus ernst mit dem Projekt; andererseits nimmt er seine nicht immer schönen Erfahrungen mit viel Humor. Wenn etwa eine Gruppierung das Geld dafür verwenden möchte, um auf einem unbebauten Hügel mit Blick auf die nahe Autobahn ein Kettenkarussell zu errichten, hört er sich das zwar geduldig an, verrät aber mit seiner Mimik, dass er den Vorschlag für einen ziemlich schlechten Witz hält. Vor allem aber muss Hamze bald erkennen, dass er mit seinem ursprünglichen Plan scheitern wird, da er große Teile der Bewohner trotz allerlei Werbeaktivitäten nicht erreicht. In einer von Arabern frequentierten Teestube erklären ihm ein paar junge Männer, er solle das Geld lieber für Afrika spenden. Auf die Frage, was sie denn an Kalk störe, entgegnen sie unisono: „Zu viele Ausländer hier.“ So trifft sich im Bürger-Büro nahezu ausschließlich die Minderheit der akademisch Gebildeten, die nicht unbedingt zu den Begüterten gehören, aber gewohnt sind, für ihre Interessen einzutreten. Mit einem Mal ist der Filmemacher plötzlich Teil jener Gentrifizierung, der er mit seinem Projekt eigentlich entgegenwirken wollte. Auch wenn alltägliche Straßenszenen in Zeitlupe die Diskussionsrunden gelegentlich unterbrechen, ist der Film inszenatorisch kein großer Wurf, dafür aber besitzt er den erfrischenden Charme des Beiläufigen. Weshalb es auch nicht weiter stört, wenn in manchen Szenen das Mikro ins Bild hängt. „Demokratie ist schön, macht aber viel Arbeit“, so ließe sich in Anlehnung an Karl Valentin die Quintessenz dieser Dokumentation beschreiben. Die Erkenntnis mag nicht neu sein, aber so unverkrampft und unterhaltsam wurde sie im Kino selten vermittelt.
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