Die „Gezi-Park“-Proteste in Ankara im Sommer 2013 haben die politische Kultur in der Türkei nachhaltig verändert. Dass sich unter die Protestierenden auch fanatische Anhänger der Istanbuler Fußballvereine Galatasaray, Fenerbahҫe und Beşiktaş mischten, ist hierzulande allerdings kaum bekannt. „Istanbul United“ von Olli Waldhauer und Farid Elsam versucht, ein politisches Phänomen zu erklären, bleibt aber auf dem Stand der teilnehmenden Beobachtung stehen.
Eigentlich sind die Ultras der drei Vereine bis aufs Blut miteinander verfeindet. Die Stadtteile, in denen die Vereine zu Hause sind, gelten für die Anhänger konkurrierender Klubs als No-Go-Areas; die Gegner werden als „schwul“ verspottet, den Spielern wird in Sprechchören androht, ihre „Mütter zu ficken“; bei Derbys kommt es regelmäßig zu Massenschlägereien, vereinzelt schrecken Tote die Öffentlichkeit auf. Die Fans des vierten Istanbuler Clubs, dem regierungsnahen Kaşımpaşa Spor Kulübü, der seine Heimspiele im Recep-Tayyip-Erdoğan-Stadion austrägt, finden in der Dokumentation übrigens keine Berücksichtigung.
Der Debütfilm lässt zunächst drei Ultras aus den verfeindeten Lagern zu Wort kommen. Kerem Gurbuz von der Fan-Gruppe „Ultraslan“ (Galatasaray) erklärt die Verwurzelung der Mannschaften und ihrer Anhänger in lokalen Kommunen, Cahat Biniҫi von „Vamos Bien“ (Fenerbahҫe) klagt über die Industrialisierung und die zunehmende Profitgier im Fußballsport, Ayhan Guner von „Ҫarşi“ (Beşiktaş) macht klar, warum das „A“ im Namenszug seines Clans im Kreis geschrieben wird: „Anarchie und Rebellion in Aktion“.
Mit diesen Identifikationsfiguren haben die Filmemacher anscheinend bewusst Protagonisten herausgefischt, die an Thesen der sportsoziologischen Konfliktforschung der 1980er-Jahre erinnern: Der Modernisierungsdruck, der auf der Gesellschaft lastet, führt zu Frust, der sich in gewaltgeprägten Situationen entlädt. Der Sportjournalist Uğur Vardan nennt dies „Neoliberalismus mit autoritären Zügen“, der augenblicklich das soziale Klima vergiftet. Insofern liegt es fast auf der Hand, dass die Ultras, deren soziokulturelle Milieus durch das Tempo der gesellschaftlichen Veränderung massiv unter Druck gerät, sich den Gezi-Park-Protesten und damit dem Widerstand gegen die Regierung Erdoğan angeschlossen haben. Leider bleibt der Film eine Erklärung schuldig, wie es zu diesem Schulterschluss der Fan-Gruppen gekommen ist. Statt dessen sieht man Auseinandersetzungen mit der Polizei, die mit derb-ironischen Sprechchören wie „Tränengas, olé, olé“ provoziert wird, und die in erschreckende Szenen münden, in denen die Istanbuler Innenstadt zur Kulisse eines Bürgerkriegsszenario wird, mit Verletzten und Toten.
Die authentischen Wackelbilder aus der Mitte der Schlacht korrespondieren dabei auf eigenartiger Weise mit den sorgfältig inszenierten Aufnahmen aus den Fanblocks: der dort vereinten Männlichkeit, die von Leidenschaft gepackt, hüpfend und singend Schlachtrufen brüllt, gelegentlich unterschnitten mit Seitenblick auf ein Kind oder eine verschleierte Frau. Manchmal kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Inszenierung einer gewissen Schlachtfeldromantik erliegt. So empfand auch der Sportjournalist Vardan, selbst Gegner des rücksichtslosen Modernisierungskurses der Regierung Erdoğan, „die Ankunft der Fußballfans wie die Ankunft der Kavallerie. Sie brachten ihre ganze Erfahrung mit, und sie hatten nie Angst.“ Kommt hier eine tief verwurzelte Sehnsucht nach dem starken Mann zum Ausdruck?
Vor dem Hintergrund der Willkür und Brutalität bei der Niederschlagung der Proteste wird der Beifall der Gezi-Park-Demonstranten für die Fans in ihren Trikots verständlich, die Faszination für ihre machtvollen, oft von beißendem Spott geprägten Sprechchöre. Aber sind das nicht auch die Chöre, mit denen in den Stadien die Homosexuellen verbal an die Wand gestellt werden?
Man hätte „Istanbul United“ neben all seinen Schlachtenszenen etwas mehr Tiefgang gewünscht. Hat das Miteinander gegen Polizei und Erdoğan, die neue Solidarität zwischen verfeindeten Fans, denn auch auf andere Milieus übergegriffen? Wie ist es, wenn Ultras, die sonst inbrünstig die Nationalhymne singen und in martialischen Schlachtrufen beteuern, ihrem Verein bis in den Tod zu folgen, Seite an Seite mit Öko-Aktivisten, Feministinnen und Künstlern, also ausgesprochenen „Weicheiern“, kämpfen? Kommt da nicht mehr an Austausch zusammen als die vorübergehende Vereinigung dreier Fangruppen? Fragen, denen „Istanbul United“ nicht nachgeht. Was bleibt, ist ein eindrucksvolles, aber wenig analytisches Dokument einer ungewöhnlichen Allianz, bei dem die Faszination für die Macht der Straße als subtiler Wermutstropfen mitschwingt.