Krankheiten breiten sich häufig an Verkehrsknotenpunkten aus. Egal, ob sie Körper oder in Gestalt von Ängsten oder Ideologien die Köpfe von Menschen befallen. Hamburg gilt als ein solcher Ort, an dem Tausende Zuflucht suchen, bevor sie weiterzureisen oder bleiben. In dem aber auch einige, wie die 9/11-Terrorzelle um Mohammed Atta, untertauchen, um Unheil in die Welt zu streuen. Die Romanfigur Igor „Issa“ Karpov, der als tschetschenischer Terrorist in Russland gefoltert wurde, bevor er heimlich in Hamburg strandet, ist ein solcher potentieller Infektionsherd. Ersonnen hat ihn John le Carré in seinem Roman „A Most Wanted Man“, der 2008 in Deutschland unter dem Titel „Marionetten“ erschien und von Anton Corbijn nun verfilmt wurde.
Will Issa weiterreisen oder bleiben? Was trägt der Muslim an mentalen Päckchen mit sich herum? Das sind die Fragen, über die sich die Sicherheitsbehörden den Kopf zerbrechen, als sie von Issas illegaler Einreise Wind bekommen, allen voran Günther Bachmann, Leiter einer deutschen Anti-Terroreinheit. „Mit kleinen Fischen fängt man Barracudas. Und mit Barracudas fängt man Haie“, verteidigt sich Bachmann vor den Behörden. Bachmann schätzt Issa nicht als akute Bedrohung ein, möchte ihn aber an einer weit ausgeworfenen Angel baumeln lassen. Insbesondere, da Issa über ein Vermögen von mehr als 10 Millionen Dollar verfügen könnte, die sein verstorbener Vater bei einer britischen Privatbank hinterlegt hat.
Eigentlich ist Bachmann hinter einem Mann her, der ihn zu den „Haien“ des Terrorismus führen soll. Dr. Abdullah heißt der Akademiker, der Spenden für humanitäre Brennpunkte der muslimischen Welt sammelt. Alles rechtmäßig, bis auf ein kleines Reederei-Unternehmen, mit dem Abdullah Geld in die Gewaltspirale des Terrorismus schleust. Issa, der seinen Vater, einen russischen Kriegsverbrecher, verachtet, soll das schmutzige Erbe spenden, und Abdullah soll anbeißen. Aus „eigenem“ Antrieb versteht sich. Dafür soll eine junge Anwältin sorgen, die Einwanderern in Hamburg zu ihrem (Menschen-)Recht verhilft. Von Issa aber, hinter dessen geschorenem Bart ein schönes Gesicht zum Vorschein kommt, fühlt sich die Anwältin zugleich angezogen wie zutiefst verunsichert.
Doch weder die sexuelle Attraktivität des Terroristen noch eine Figur wie Bachmann sind sonderlich neu. In der aktuellen US-Serie „Homeland“ kann sich eine Agentin ebenfalls nicht dem Charme eines Terrorverdächtigen entziehen, und wie Bachmann schützt sie ihre Informanten, um ein großes Netzwerk auffliegen zu lassen. Auch hier geht es um das heikle Abwägen zwischen Zugriff und Abwarten; und um einen Slogan, der Bachmann zunächst ebenfalls alle Türen öffnet: „Für eine sicherere Welt“.
Wie schon in „Control“
(fd 38 519) und „The American“
(fd 40 061) konzentriert sich Corbijn auch hier auf männliche Einzelkämpfer. Die Spannung, dass der Köder die Leine zerreißt, wäre indes größer, wenn sich sein neuer Film tatsächlich um den „Most Wanted Man“ von le Carré drehen würde. Bei Corbijn heißt dieser aber nicht Issa oder Abdullah, sondern Philip Seymour Hoffman, der als Günther Bachmann in seiner letzten Rolle zu sehen ist. Hoffman spielt ihn als Agenten mit dem richtigen Riecher und den falschen Vorgesetzten, dem die westlichen Anti-Terror-Bürden sichtbar auf den Schultern lasten. Dieser Druck nimmt auch beim zigsten Zug an der Zigarette nicht ab. Dabei ist der Film derart auf Hoffmans eindrückliches Spiel konzentriert, dass Stars wie Nina Hoss, Daniel Brühl oder Robin Wright zu Stichwortgebern verkommen.
Die Konzentration auf Bachmann führt aber auch zur Reduktion von Figuren wie Abdullah, der das Leid, das er mit Spenden bekämpft, durch die Unterstützung des Terrors zugleich verstärkt. Seine mentale Verstrickung hätte mehr Augenmerk verdient. Dass Corbijns Terroristenjagd aus Konferenz- und Abhörzimmern heraus solide abrollt, aber nicht gerade wie eine Bombe im Genre des Spionage-Thrillers einschlägt, liegt auch an den wenigen Grautönen. Ganz abgesehen von den entsättigten Farben, in die das bewölkte Hamburg getaucht wird. Die Schwarz-Weiß-Malerei trifft dabei weniger die Muslime als vielmehr Bachmanns Feinde in den eigenen Reihen, deutsche Vorgesetzte und amerikanische Kollegen. Denn auch wenn Bachmann zunächst die Fäden in der Hand hat: Marionetten ihrer Ängste und Ideologien sind hier alle.