Der letzte Führerbefehl aus Berlin ist unmissverständlich formuliert: „Paris darf nicht oder nur als Trümmerfeld in die Hand des Feindes fallen!“ Stadtkommandant General von Choltitz, hoch dekoriert, hat als guter Soldat deshalb bereits alle Vorbereitungen getroffen und Kulturdenkmäler wie den Louvre, Notre-Dame oder Sacré Cœur verminen lassen. Durch die Gewalt der Explosionen wird die Seine über die Ufer treten und Teile der Stadt fluten; unzählige Zivilisten werden dabei den Tod finden. In den frühen Morgenstunden des 25. August 1944 geht der General mit seinem Führungsstab die Pläne noch einmal sorgsam Bild für Bild durch. Beklommen spürbar wird, welch barbarischer Akt die geplante Zerstörung von Paris darstellt.
Es ist, wie es im deutschen Film seit jeher ist, wenn Nazi-Uniformen im Spiel sind: es gibt die Fanatiker, die Befehlsempfänger mit ihrer Verpflichtung auf den geleisteten Eid, die Mitläufer, die Zauderer und Hadernden sowie die Nachdenklichen, die sich vielleicht eines Besseren belehren ließen. Zu welcher Gruppe von Choltitz zählt, ist längst nicht ausgemacht. Zumal, weil in Gestalt des schwedischen Generalkonsuls Raoul Nordling ein Gegenspieler auf den Plan tritt – und zwar wie ein Phantom, das sich des Mythos Paris durch ein Wissen um geheime Gänge und Türen versichert, indem es buchstäblich „plötzlich“ im Raum steht. Nordling fordert von Choltitz zum ultimativen Rededuell heraus: Über die Pflicht zum Gehorsam vs. die Pflicht gegenüber dem Kulturerbe der Menschheit im Schatten des großen Tötens. Und: Wie steht es eigentlich um die Ehre im Leib?
Im Hintergrund des Rededuells, das hier furios und mitunter an der Grenze zur unfreiwilligen Komik nach allen Regeln der Kunst geführt wird, tickt unablässig die Uhr: Die Alliierten marschieren auf Paris zu, die Résistance probt den Aufstand, in den Vorstädten wird bereits gekämpft. Der Zuschauer weiß natürlich, dass Paris nicht zerstört wurde, sondern vergleichsweise unversehrt blieb, weil von Choltitz aus teilweise noch heute nicht geklärten Gründen dann doch lieber kapitulierte, als Hitlers Befehlen zu gehorchen.
Volker Schlöndorffs filmische Adaptation des gleichnamigen Theaterstücks von Cyril Gély, die mit Niels Arestrup und André Dussollier sogar auf die beiden vorzüglichen Hauptdarsteller der Inszenierung am Pariser Théâtre de la Madeleine setzt, inszeniert das gewichtige Rededuell zweier gegensätzlicher Figuren als psychologisches Kammerspiel, das sich als eine offene, auch autobiografisch unterfütterte Liebeserklärung des Filmemachers an Paris erweist. „Uns bleibt immer Paris!“, heißt es bereits in „Casablanca“
(fd 19 478). Tatsächlich hantiert die rhetorische Auseinandersetzung in „Diplomatie“ immer auch mit den Bildern und Vorstellungskomplexen von „Paris“, die im kollektiven Unbewussten kursieren. Es ist Nordling, der immer wieder ansetzt und die Imagination seines Gegenübers beschwört, um dem General klar zu machen, was hier auf dem Spiel steht, wenn er sich in den Befehlsnotstand flüchtet.
Jenseits der Rhetorik bleibt es allerdings seltsam unbestimmt und mysteriös, wessen Spiel Nordling hier eigentlich spielt, wann er droht oder bloß blufft. Wenn die Worte keine Wirkung mehr entfalten, tut ein Blick vom Balkon auf Paris ein Übriges – und die Auseinandersetzung geht in die nächste Runde. Dabei ist zwar verbürgt, dass diese Begegnung historisch stattgefunden hat, doch Schlöndorff und Gély nutzen die Freiheit der Fiktion zur dramatischen Verdichtung. Die Theater-Apparatur bleibt dabei stets sichtbar, wenn wieder mal ein Bote ins Zimmer stürzt oder ein Telefon klingelt, während ein paar konventionell inszenierte Action-Szenen vor dem Hotel Meurice eher ein (überflüssiges) Zugeständnis ans Kino sind; eine Beschränkung auf das dokumentarische Wochenschaumaterial von der Befreiung von Paris wäre angebrachter und überdies vollkommen ausreichend gewesen.
„So hätte es gewesen sein können!“ – „Diplomatie“ singt auf recht unspektakuläre Weise ein Hohelied auf die Kraft des Diskurses in dunkler Zeit und fügt wie zuletzt schon „Monuments Men“
(fd 42 206) ein weiteres Puzzleteilchen ins große Bild, wie persönliches Engagement und Zivilcourage dazu beitragen, inmitten der Barbarei das kulturelle Erbe zu bewahren. Dass Geschichte hier wieder von großen Männern geschrieben wird, ist der Preis, den „Diplomatie“ zu zahlen bereit ist.