Sie wollen ein Zeichen setzen, das radikal und unmissverständlich sein soll. Mit den friedlichen Protesten, so die drei jungen Menschen, von denen „Night Moves“ handelt, sei man in der Vergangenheit nicht weit gekommen. Also machen sie sich ans Werk. Sie besorgen die Ingredienzien, um Sprengstoff herzustellen, und beschaffen sich ein Boot, das als mobile Bombe auf eine Staumauer losgelassen werden soll. Der Damm ist für das Trio eine Art Fanal des rücksichtslosen Eingriffs in die Natur; als Anschlagsziel eignet er sich vor allem auch deshalb, weil der in den Wäldern gelegene Stausee nachts menschenverlassen ist, so dass ihr Sabotageakt im Namen des Umweltschutzes ohne menschliche Opfer von statten gehen kann.
Josh, Dena und Harmon sind keine schlechten Menschen, im Gegenteil: Ihnen liegt etwas an der Welt, sie wollen sie besser machen, sie setzen sich ein. Josh, auf den der Film am meisten fokussiert, lebt in einer Kommune, die einen Biobauernhof in Oregon bewirtschaftet; er ist der ernsthafteste der Drei, gewissermaßen die treibende Kraft, während der etwas ältere Harmon lässiger ist, dafür aber Erfahrung und Pragmatismus mit einbringt. Dena steht zwischen diesen Polen, was sie zugleich zum Bindeglied, aber auch zum Zankapfel der Gruppe macht, da die Jungs um sie konkurrieren.
Nach ihrem Ausflug ins Westerngenre mit „Meek’s Cutoff“
(fd 40 735) wendet sich Kelly Reichardt in ihrem fünften Spielfilm dem Thriller zu, wobei sie sich dessen erzählerische Spielregeln affirmativer aneignet, als sie dies im Falle des Western getan hat. Während „Meek‘s Cutoff“ die genretyptische Spannungsdramaturgie weitgehend unterlief, kostet Reichardt nun die Suspense-Möglichkeiten des Stoffes aus, als wolle sie mit Alfred Hitchcock wetteifern. Die unvorhergesehenen Schwierigkeiten, auf die das Trio bei der Planung und Durchführung seines Anschlags stößt, sorgen ebenso für Spannung wie die Ungewissheiten, die sich im Miteinander der Drei auftun: Können sie sich aufeinander verlassen? Wie tragfähig ist ihr Weltverbesserungsidealismus angesichts der zwischenmenschlichen Verwicklungen und des äußeren Stresses, den ihr gefährliches Unterfangen mit sich bringt?
Dieser größeren Hinwendung zum Genre opfert Reichardt indes nicht ihre inszenatorische Handschrift. Bei aller Spannungsdramaturgie bleibt viel Zeit, die Lebenswelt der Protagonisten zu erkunden; wie in Reichardts bisherigen Filmen, geht es nicht primär um Höhepunkte, sondern um die Beobachten von Menschen, ihren Handgriffen und Handlungen sowie den Konsequenzen, die daraus erwachsen. Bewegungen, Reisen sowie die Landschaften, die dabei durchquert werden, spielen eine große Rolle. Die Wälder Oregons, herbstlich und meist unter grau verhangenen Himmeln, sind neben den drei Öko-Terroristen die wichtigsten Protagonisten den Films.
In der Bildgestaltung haben sich Reichardt und ihr Kameramann Chris Blauvelt von den Natur-Aquarellen des amerikanischen Malers Charles Burchfield inspirieren lassen; wie in dessen Gemälden wirken auch im Film die Farben gedämpft-verwaschen; dunkles Grün, Braun- und Grautöne dominieren. Das sind typische Reichardt-Landschaften: Gegenden, in der das Leben kein Idyll beherbergt, sondern zum Schauplatz für die Suche der Protagonisten nach etwas Besserem wird – einem besseren Leben, einer besseren Welt. Dabei stolpern sie aber über die Fallstricke der eigenen „unbegrenzten Möglichkeiten“ und ringen mit den Konsequenzen ihrer Entscheidungen.
Es geht auch um Sinn und Unsinn von Gewalt als Mittel des politischen Widerstandes gegen ein übermächtiges System, wie ihn Robert Redford in „The Company You Keep“
(fd 41 810) verhandelte; die radikale Gruppe der „Weathermen“ diente Reichardt und ihrem Drehbuchautor Jon Raymond ebenso als Vorbild wie Öko-Gruppen à la „Earth First!“ oder „Earth Liberation Front“. Allerdings wird die Legitimität terroristischer Gewaltakte nicht explizit von den Figuren verhandelt; der Film gibt durch sein letztes Drittel vielmehr indirekt Antworten. Denn nach dem Anschlag auf den Staudamm müssen Josh, Dena und Harmon damit leben, dass ein entscheidendes Detail ihres Planes fehlgeschlagen ist – womit sich der Thriller zum Psychothriller entwickelt und Dostojewskis „Schuld und Sühne“ anklingt. Dass „Night Moves“ bis zum Schluss mitreißend-spannend bleibt, ist neben den großartigen Dialogen und Reichardts Inszenierung auch den drei Darstellern zu verdanken, die die unterschwelligen Spannungen innerhalb der Gruppe bestürzend vermitteln und eine Anteilnahme erzeugen, auch wenn man zunehmend auf Distanz zu ihren Taten geht.