Zwei junge Frauen aus einem Dorf im Norden Argentiniens, denen Jobs als Hausangestellte in Buenos Aires versprochen werden, landen in einem von der Außenwelt abgeschirmten Bordell, in dem sie zur Prostitution gezwungen werden. Auf poetische, unaufgeregte Weise und ohne drastische Vergewaltigungsszenen nähert sich der Film dem brisanten Thema, ohne es zu verharmlosen. Mit einer ganz und gar außergewöhnlichen Heldin beleuchtet das großartig gespielte Drama die Not der Prostituierten und rückt zugleich die Scheinheiligkeit einer gutbürgerlichen Fassade in den Blick, hinter der das Leid der Frauen unsichtbar bleibt.
– Sehenswert ab 16.
Die Fliege in der Asche
Drama | Argentinien 2010 | 99 Minuten
Regie: Gabriela David
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Filmdaten
- Originaltitel
- LA MOSCA EN LA CENIZA
- Produktionsland
- Argentinien
- Produktionsjahr
- 2010
- Produktionsfirma
- Gabriela David Prod./Pampa Films
- Regie
- Gabriela David
- Buch
- Gabriela David
- Kamera
- Miguel Abal
- Musik
- Mariano Núñez West
- Schnitt
- Enrique Angeleri
- Darsteller
- Paloma Contreras (Pato) · María Laura Caccamo (Nancy) · Luís Machín (Kellner) · Luciano Cáceres (Oscar) · Cecilia Rossetto (Susana)
- Länge
- 99 Minuten
- Kinostart
- 05.06.2014
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- – Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Das Thema Zwangsprostitution ist so alt wie aktuell. Und weil sich der zweite und letzte Spielfilm der im November 2010 im Alter von nur 50 Jahren früh verstorbenen argentinischen Regisseurin Gabriela David („Taxi – Eine Nacht in Buenos Aires“ (fd 35 422)) einem leider zeitlosen Problem widmet, hat er in den vier Jahren, die es dauerte, bis sich in Deutschland ein Filmverleih fand, nichts von seiner erschütternden Kraft verloren. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich das Drama um zwei Freundinnen, die unter falschen Versprechungen nach Buenos Aires gelockt und dort in einem Bordell eingesperrt werden, nicht auf eine dokumentarische, journalistisch-investigative Weise dem Thema nähert, sondern es filmkünstlerisch aufarbeitet. David verzichtet auf alles Rotlicht-Reißerische, erspart dem Publikum den Anblick von Vergewaltigungen und exzessiven Gewaltszenen und verwehrt ihm damit zugleich eine voyeuristische Schlüssellochperspektive. Stattdessen verleiht sie dem Geschehen eine poetisch melancholische Aura, ohne es dadurch zu verharmlosen. Dass Gabriela David dieser durchaus riskante Spagat gelingt, zeichnet ihr Werk gegenüber manch anderen, härteren und auf den ersten Blick realistischeren Filmen über Prostitution und Frauenhandel wohltuend aus.
Das liegt zum einen an der Geschichte, die auf einem Originaldrehbuch der Regisseurin basiert, sich aber derart gemächlich, beinahe träge entfaltet und sich so eng an den Erlebniswelten der Protagonistinnen Nancy und Pato orientiert, wie das sonst vor allem bei Literaturverfilmungen der Fall ist. Es ist, als wäre die Kamera nicht auf die beiden jungen Frauen gerichtet, sondern würde lediglich über den visuellen Kinoumweg in sie hineinschauen. Pato, die jüngere, klügere und ehrgeizigere der beiden Freundinnen, möchte raus aus dem Dorf im Norden Argentiniens, in dem sie aufgewachsen ist. Als eine Jobvermittlerin ihr eine gut bezahlte Arbeit als Dienstmädchen in Aussicht stellt, überredet sie Nancy, mit ihr zu kommen. Die naive, geistig ein wenig zurückgebliebene Analphabetin Nancy zögert zunächst. Sie möchte eigentlich nicht weg und schon gar nicht in eine Großstadt. Aber ihre Familie ist arm, der Platz knapp, also lässt sie sich darauf ein. Nancy ist der Dreh- und Angelpunkt: Ihre leicht entrückte, träumerische Sichtweise taucht den gesamten Film in eine sinnbildliche Atmosphäre. Offenbar ging es David über die reinen, grausamen Fakten hinaus auch um das Wesen der menschlichen Natur. Und zwar nicht der Täter, sondern der Opfer, die an dem Leid, das ihnen zugefügt wurde, zerbrechen können oder es auf die eine oder andere Weise bewältigen. Wie die scheinbar tote Fliege, die sich in der Asche wieder zu bewegen beginnt und ein (vielleicht etwas zu offensichtliches) Leitmotiv darstellt. Nancy gelingt es mit kindlicher Kraft und einem Pragmatismus, der nicht ganz von dieser Welt scheint, auch in der zu einem Bordell umfunktionierten Wohnung in Buenos Aires ihr grundfröhliches Naturell zu bewahren, wohingegen Pato sich verzweifelt wehrt, misshandelt und weggesperrt wird.
Ein solcher Film, in dem sich ein schäbiges, illegales, von einer unerbittlich verbitterten und dann plötzlich unvermittelt freundschaftlichen Puffmutter geführtes Bordell zur fast surrealen Parallelwelt entwickelt, kann nur funktionieren, wenn die Charaktere glaubhaft dargestellt werden. Dank der herausragenden Leistungen, insbesondere von María Laura Caccamo als Nancy, meistert der Film den Balanceakt zwischen realistischer Darstellung und künstlerischer Verklärung. Zudem beeindruckt die Art, wie Gabriela David die hermetische Kerkererfahrung mit der urbanen Außenwelt konfrontiert. Das Bordell befindet sich nämlich in einem gutbürgerlichen, betont sauberen Stadtviertel, in dem jeden Morgen die Bürgersteige abgespritzt werden. Kurz bevor Pato das erste Mal das Unglückshaus betritt, blickt sie sich noch einmal um: ein schickes Café, ein Stand, an dem Blumen verkauft werden, Passanten halten ein Schwätzchen, ein Polizist patrouilliert. Nichts deutet auf das hin, was sich dort oben hinter den geschlossenen Fenstern abspielt. In diesem grotesken Nebeneinander von Elend und Idyll hat David eine schmerzhaft treffliche Allegorie unserer Welt entworfen, die sich auch, aber längst nicht nur auf die Situation von Zwangsprostituierten mitten in Deutschland übertragen lässt.
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