Ein schweigsamer Naturwissenschaftler erforscht in den Wäldern von Friaul das Verhalten von Tieren, indem er ihre Aktionsradien analysiert. Auf der Spur eines Fuchses gerät er in ein verlassenes Dorf, auf dem ein Fluch zu lasten scheint. Ein alter Mann erinnert sich an die Geburt zweier Mädchen, die nichts Menschliches an sich hatten. Doch der Naturforscher ignoriert die unheiligen Zeichen und spielt sehenden Auges mit dem Verderben. Der bemerkenswerte Gruselfilm bindet dramaturgisch souverän Anleihen beim US-amerikanischen Handycam- sowie beim spanischen New-Gothic-Horror ein. Dabei wird das Dunkel des Raums durch eine „sakrale“ Filmmusik unheimlich aufgeladen.
Across the River
Horror | Italien 2013 | 88 Minuten
Regie: Lorenzo Bianchini
Kommentieren
Filmdaten
- Originaltitel
- OLTRE IL GUADO
- Produktionsland
- Italien
- Produktionsjahr
- 2013
- Produktionsfirma
- Collective Pic.
- Regie
- Lorenzo Bianchini
- Buch
- Lorenzo Bianchini · Michela Bianchini
- Kamera
- Daniele Trani
- Musik
- Stefano Sciascia
- Schnitt
- Lorenzo Bianchini
- Darsteller
- Renzo Gariup · Marco Marchese · Lidia Zabrieszach
- Länge
- 88 Minuten
- Kinostart
- 08.05.2014
- Fsk
- ab 16; f
- Genre
- Horror
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
In den 1980er-Jahren war Italien ein Land, in dem das Kino des Transgressiven und Subversiven blühte. Das ist lange her. Seitdem ist die italienische Variante des Horrorkinos zwar aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden, existiert aber in gewandelter Form durchaus fort. Regisseur Lorenzo Bianchini hat mit der Giallo-Tradition allerdings wenig am Hut. „Across the River“ steht eher in der Tradition von Eduardo Sánchez’ und Daniel Myricks „Blair Witch Project“ (fd 33 983) und Andrés Muschiettis „Mama“ (fd 41 681), also dem US-amerikanischen „Handycam“ – und dem spanischen „New Gothic“-Horror. Dafür wackelt bei Bianchini die Kamera nicht planlos herum, und auch die Romantik tendiert eher Richtung Sachlichkeit. Bianchinis Protagonist ist ein einsamer Wolf, der sich als Naturbeobachter in den menschenleeren Waldgebieten von Friaul bis zur slowenischen Grenze vorarbeitet, um anhand von Videoaufzeichnungen und Spurendeutung dem Wildbestand auf die Spur kommt. Es ist daher eher erstaunlich, als im Rundfunk die Eilmeldung verlesen wird, dass der Einsiedler als vermisst gilt.
Die Zuschauer wissen indes, wohin es den Wanderer mit seinem Caravan verschlagen hat, nämlich über den Fluss, der kurz nach der rumpeligen Passage bedrohlich anschwillt – im Horrorfilm stets ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Held endgültig von der Zivilisation abgeschnitten ist. Kurz zuvor hatte der Mann Seltsames bemerkt. Schreie in der Nacht, verletzte und tote Wildschweine. Ob ein Rudel Wölfe hier sein Unwesen treibt? Es wird nicht ganz deutlich, was ihn bewegt, einem mit einer Webcam ausgestatteten Fuchs in ein verlassenes Dorf jenseits des Flusses zu folgen. Dort wird der Schweigsame bald Zeuge noch seltsamerer Geräusche und Schemen. Denn das Dorf scheint von mehr als nur von Tieren bewohnt.
Dass es sich dabei nicht um Menschen handelt, erfährt der Zuschauer durch einen Kniff, mit dem Bianchini das Hermetische des dokumentarischen Horrors aufbricht. Es gibt nämlich mit einem alten Ehepaar noch weitere Ohrenzeugen des Geschehens. Sie wohnen scheinbar allein tief in den Wäldern nahe dem seltsamen Dorf. Sie wissen von einer Geburt vor siebzig Jahren, als zwei fremdartige Schwestern zur Welt kamen, die nichts Menschliches an sich hatten. Wenn der Alte im Halbdunkel des Hauses seiner Frau aus jenen Tagen erzählt, hören die Zuschauer mit, was ihnen einen vagen, wenngleich doch nicht befriedigenden Wissensvorsprung gegenüber dem Naturbeobachter verschafft, der stoisch die unheiligen Zeichen ignoriert und sehenden Auges mit dem Verderben spielt.
„Across the River“ verströmt eine berückende Stimmung und verstört weit mehr als die vielen amerikanischen „Found Footage“-Filme, die in ihrem stumpfsinnigen Spiel mit dem Schockmoment kein Ende nehmen wollen. Zwar hätten dem allzu überstürzten Finale ein wenig mehr Kontur und weniger wirre Traumbilder gut getan, und auch der Spannungskurve wäre es zuträglich gewesen, wenn auch im Protagonisten die Erkenntnis gereift wäre, was er hier jagt bzw. was ihn jagt. Doch abgesehen von solchen Holprigkeiten gelingt es dem Film mit bemerkenswerter Souveränität, das Dunkel des Raums mit Unbehagen zu beseelen, was nicht zuletzt auch an der sehr „katholischen“ Horrorfilmmusik von Stefano Sciascia liegt, die dem Film mit ihrer (un-)heiligen Messe endgültig jeden drögen Doku-Touch austreibt.
Kommentar verfassen