Ein sorgsam verschnürtes weißes Paket lugt aus der schwarzen Kohlenfuhre, die der Laster durch den Norden Chinas transportiert. Erst als es mit auf ein Förderband gehievt wird, bemerken die Arbeiter den grausigen Inhalt: eine abgetrennte menschliche Hand. Dass in einem Umkreis von mehr als hundert Kilometern weitere Leichenteile auftauchen, lässt selbst die abgebrühten Polizisten ihren Gleichmut verlieren, doch abgesehen von der unbegreiflichen Brutalität scheint der Fall Routine: Bald gibt es Hinweise auf das mutmaßliche Opfer, einen einfachen, unauffälligen Arbeiter und offenbar glücklich verheiratet mit der Angestellten einer kleinen Wäscherei. So unerklärlich die Tat ist, so schnell haben der ermittelnde Polizeibeamte Zhang und sein Partner zwei Verdächtige ausgemacht und aufgespürt. Ihnen scheint bei diesem Fall ein Abschluss nach Maß zu gelingen, doch dann geht die Festnahme fürchterlich schief. Zhang, der von Schuldgefühlen geplagt wird, bleibt nur, den Dienst zu quittieren.
Was der chinesische Regisseur Diao Yinan in seinem dritten Spielfilm „Feuerwerk am helllichten Tage“, mit dem er in diesem Jahr den „Goldenen Bären“ der „Berlinale“ gewann, auf diese Weise auf den Weg bringt, ist der berauschende Auftakt zu einem lupenreinen Film noir in den trostlosen Kohlerevier-Regionen im Norden der Volksrepublik. Nach einem Zeitsprung aus dem Jahr 1999, einer Zeit des chinesischen Wirtschaftsbooms, geht es im Winter 2004 weiter, wo die Aufbruchsstimmung im Land ebenso zerrüttet ist wie der ehemalige Polizist. Aus dem schlanken, jugendlich wirkenden Ermittler ist in den wenigen Jahren ein Wrack geworden: 20 Kilo schwerer, ungepflegt und in jeder Beziehung heruntergekommen – eine eindrucksvolle Transformation des ebenfalls in Berlin geehrten Schauspielers Liao Fan –, arbeitet Zhang nun als Sicherheitskraft in einer Mine, wo er wegen seiner ständigen Trunkenheit das Gespött der gesamten Arbeiterschaft ist. Halt findet der Einzelgänger nur im Kontakt mit seinem früheren Partner, der ihm mitteilt, dass der für abgeschlossen gehaltene Fall eine merkwürdige Fortsetzung gefunden hat. Zwei weitere Männer sind seitdem ermordet und zerstückelt worden, und beide standen in enger Beziehung zur Witwe des ersten Opfers. Zhang beginnt sie zu verfolgen, was ihn tatsächlich bald auf die Spur abgründiger Geheimnisse hinter der Mordserie bringt. Wozu auch gehört, dass die anfänglich unscheinbar und verschreckt wirkende Frau immer mehr die Attribute einer klassischen femme fatale bekommt, deren Aufmachung zudem mit ihren Haaren, die eine Gesichtshälfte fast ganz verdecken, eine frappante Ähnlichkeit zum 40er-Jahre-Star Veronica Lake aufweist.
Mit solch direkten Anspielungen auf Hollywood-Vorbilder geht Diao insgesamt allerdings eher sparsam um. Ihm kommt es vielmehr auf eine Übertragung der Erkennungsmerkmale amerikanischer Noirs auf heutige chinesische Verhältnisse an, was ihm mit einer mitunter atemberaubenden stilistischen Meisterschaft gelingt, neben der handelsübliche „Tatort“- und Schwedenkrimi-Konfektionsware noch um ein Vielfaches dürftiger als ohnehin schon erscheint. Die chinesische Gesellschaft, die ähnlich desillusioniert wirkt wie die der USA nach dem Zweiten Weltkrieg, ist eine natürliche Umgebung für die verbitterten und lakonischen Figuren des Films. Und für die düsteren Schwarz-weiß-Stimmungsbilder der Originale hat Kameramann Dong Jinsong ein kongeniales Substitut gefunden: Kalte, gelbe und rote Neontöne in den häufigen Nachtszenen und der Kontrast von schwarzer Kohle und weißem Schnee prägen die kunstvolle Farbgestaltung. Stimmungsvoll unterstreicht sie den spannenden Kriminalplot, der in seiner Verwickeltheit locker mit Klassikern wie „Tote schlafen fest“ mithalten kann und in dem die Szenen extremer Gewalt schlagartige Eruptionen aus einer Atmosphäre der allgegenwärtigen Angst, Unsicherheit und Anspannung darstellen.
Anders als Jia Zhangkes im letzten Jahr in Cannes gefeiertes Drama „A Touch of Sin“ übt „Feuerwerk am helllichten Tage“ nicht offen Kritik an den Verhältnissen in China, doch unterschwellig spielen die Auswirkungen der kapitalistischen Gesellschaftsumkrempelung eine nicht zu übersehende Rolle. Eine allgemeine Verrohung prägt die Bewohner der tristen, namenlosen Industriestadt, in der anscheinend jeder nur an sich selbst denkt: Sehr früh sieht man das in einer Szene, in der Zhang nachts betrunken am Straßenrand liegt und ihm ein vorbeifahrender Mann nicht etwa aufhilft, sondern ihm das Motorrad klaut; Zhang muss sich fortan mit dem Schrottvehikel des Diebs behelfen. Doch Diao gönnt den Figuren trotz aller Tristesse immer wieder auch kleine Glücksoasen: Die Gondel eines Riesenrads mit Blick auf die nächtliche Stadt, oder eine Eisbahn, wo die Stadtbewohner Runde um Runde drehen, während Strauss-Walzer erklingen – wunderbar poetische Ausbrüche aus einer buchstäblich menschlichen Tragödie.