Drama | Deutschland 2014 | 110 Minuten

Regie: Dietrich Brüggemann

Eine 14-jährige Gymnasiastin wächst in einer katholisch-fundamentalistischen Gemeinschaft auf und bereitet sich auf die Firmung vor. Sie will ihr Dasein ganz Gott weihen und bietet ihm ihr Leben an, wenn er im Gegenzug ihren kranken Bruder heilt. Ein in 14 an die Kreuzwegstationen angelehnten Tableaus entfaltetes Drama, das formal konsequent fast ohne Kamerabewegung oder Musik die destruktiven Aspekte des religiösen Fundamentalismus herausarbeitet und zugleich zur Reflexion über angemessene Formen des Glaubens nötigt. (Preis der Ökumenischen Jury, Berlin 2014) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
UFA Fiction
Regie
Dietrich Brüggemann
Buch
Anna Brüggemann · Dietrich Brüggemann
Kamera
Alexander Sass
Schnitt
Vincent Assmann
Darsteller
Lea van Acken (Maria) · Franziska Weisz (Mutter) · Florian Stetter (Pater Weber) · Lucie Aron (Bernadette) · Moritz Knapp (Christian)
Länge
110 Minuten
Kinostart
20.03.2014
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Camino/Lighthouse (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Der Priester in seiner schwarzen Soutane ist ein smarter Typ, gutaussehend, schlank, von gewinnendem Wesen. Das Dutzend Firmlinge, das er um den großen Tisch versammelt hat, greift willig seine Worte auf, die in den Ohren der Gegenwart fremd, ja bizarr klingen. Im einschmeichelnden Stakkato skizziert der Pater seine „Christenlehre“, in der Gott und der Satan permanent um die Seelen der Kinder streiten. Alles und jeder wird darin zum endzeitlichen Kampfplatz, auf dem sich Sieg und Niederlage des Guten entscheiden. Der rechte Glaube verlangt deshalb nicht nur eine Grundentscheidung, wie sie die Heranwachsenden in der Firmung treffen, sondern permanente Wachsamkeit: Das Böse lauert schließlich überall. Auch die 14-jährige Maria soll eine „Soldatin Gottes“ werden, die den Versuchungen des Teufels in ihrem Herzen, aber auch in der „modernen“ Welt widersteht. Die schmale Gymnasiastin, mitten in der Pubertät, ist hin- und hergerissen. So vieles weckt ihre Aufmerksamkeit; ein Junge aus der Parallelklasse sucht ihre Freundschaft, er will sie für den Kirchenchor gewinnen. Dort erklingen aber nicht nur Bach-Choräle, sondern auch Gospels und Spirituals, die in den Augen des Pfarrers Einflugschneisen des Dämonischen sind. Wie soll Maria das ihrer herrschsüchtigen Mutter vermitteln, für die jenseits des von ihr kontrollierten Sprengels das Reich der Sünde beginnt? Überdies ist die blasse Teenagerin ihrem kleinen Bruder eng verbunden, der an einer seltsamen Störung leidet: Der Junge spricht nicht. Was angesichts der frömmelnden Kälte, die innerhalb der Familie herrscht, auch nicht weiter verwundert. Emotional ist Maria schon länger in die Rolle der Mutter gerutscht, die ihrem Bruder liebend-unterstützend beisteht. In diesem Umfeld ist es dann vielleicht auch nicht mehr weit bis zu dem Gedanken, Gott das eigene Leben im Tausch gegen die Gesundheit des Bruders anzubieten. Der Vergleich mit „Requiem“ von Hans-Christian Schmid drängt sich auf, wenn man das Martyrium der jungen Maria miterleidet, das in 14 erschlagenden Kapiteln analog zur katholischen Kreuzweg-Tradition entfaltet wird. Doch im Unterschied zu „Requiem“, der um ein individuelles Schicksal kreist, handelt Dietrich Brüggemanns „Kreuzweg“ nur an der Oberfläche von der Leidensgeschichte eines pubertierenden Mädchens; im Kern geht es um eine Auseinandersetzung mit einem System, das im Namen Gottes gegen alles Lustvoll-Lebendige agiert. Der Film ist eine Vivisektion. Minutiös und detailgenau skizziert er die Denk- und Glaubenswelt christlicher Ultras, wobei die jeweils in einer einzigen Einstellung durchgedrehten Szenen eine enorme Unmittelbarkeit gewinnen. In der kühl reflektierten Ästhetik des Films spiegelt sich der wie in Stein gemeißelte Anspruch einer absolutistischen Befehlsreligion, die nur Unterordnung und Gehorsam kennt – und über ein ganzes Arsenal diabolischer Strategien verfügt, diesen Anspruch in den Seelen der Gläubigen zu verankern. Die implizite Gleichsetzung von Marias Martyrium mit der Passion Christi, im Plakatmotiv der dornengekrönten „Jungfrau“ prägnant visualisiert, ist dabei der „blasphemische“ Fluchtpunkt des Films: ein Mensch an der Stelle Jesu, die 14-jährige Maria als geschundener Gottesknecht mit Dornenkrone. Das kehrt die Grundbewegung christlichen Glaubens um: der Betende öffnet sich hier nicht mehr vertrauensvoll der Gnade Gottes, sondern bietet Gott einen Tauschhandel an. Wen wundert es, dass der Himmel, in den die Kamera in der letzten Einstellung schwenkt, grau verhangen und leer scheint? „Kreuzweg“ ist ein kalter, „intellektueller“ Film, der eine gerade wieder erstarkende Spielart des christlichen Fundamentalismus seziert: den Dualismus von Gott und Teufel, die militärische Logik und Rhetorik, eine strenge Hierarchie plus ein hermetisch sich abschottendes Umfeld der Reinen und Auserwählten. Für Ambivalenzen, wie sie für die Sphäre des Religiösen eigentlich konstitutiv sind, oder für wirkliches Mitleid mit den Figuren bleibt da nicht viel übrig. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, nötigt der Film über seine ästhetischen Eigenheiten hinaus zu grundsätzlichen Fragen: Etwa danach, wie sich eine Religion, deren Gründer mit den Worten „Fürchtet Euch nicht“ angekündigt wird, in ein Werkzeug der Angst und Furcht verkehren kann? Oder: Welche Kräfte sind in einer Familie am Werk, in der kein Handgriff ohne religiöse Aufladung erfolgt, untereinander aber der kalte Geist eines Kasernenhofs herrscht? Und: Warum lugt bald hinter jeder Warnung des Priester vor den Einflüsterungen des Satans die Angst vor weiblicher Verführungsmacht hervor?
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