Der Fall des Malers und Kunsthändlers Wolfgang Beltracchi sprengt alle Maßstäbe: Mehr als 30 Jahre lang hat Beltracchi Gemälde „im Stile von“ diversen alten und modernen Meistern gemalt. Hier sprachlich genau zu bleiben, ist wichtig, denn Beltracchi hat nie „kopiert“, sondern „nachempfunden“, mögliche Bilder erfunden und „Werklücken gefüllt“ – und diese Werke dann als angebliche Originale für hohe Summen verkauft. 2010 flog der Fall auf, 2011 wurde Beltracchi wegen gewerbsmäßigen Betrugs zu sechs Jahren Haft verurteilt, seine Frau Helene und ein weiterer Mittäter erhielten niedrigere Haftstrafen.
In der Öffentlichkeit wurde Beltracchi in einer Mischung aus Faszination und Empörung zum „Jahrhundertfälscher“ erklärt; die Kunstszene schwankte zwischen Hass und Verachtung. Beltracchi wurde zum Objekt heftiger Aggressionen, was nicht allein daran liegt, dass sich viele an der Nase herum geführt fühlten, und auch nicht an den hohen Beträgen, die von Galerien, Museen und Sammlern gezahlt wurden. Dies liegt mindestens ebenso in der Tatsache begründet, dass der Fall und seine Folgen plötzlich ein grelles Licht auf eine Szene warfen, die sehr daran interessiert ist, ihre Geschäfte in einem diffusen Halbdunkel aus Diskretion und Insiderwissen, persönlichen Beziehungen und Expertenkrämerei abzuwickeln. So ist es ja kaum zu glauben, dass jahrzehntelang niemand Verdacht geschöpft haben soll, dass keiner nachgefragt oder eigene Recherchen angestellt hat. Unverständlich bleibt auch, wie sich namhafte Experten, der geschäftstüchtige Werner Spies etwa oder das Kunsthaus Lempertz, so täuschen konnten; es sei denn, man stellt die Tatsache in Rechnung, dass mit bezahlten Gutachten und lukrativen Auktionsergebnissen noch weit mehr verdient wurde als bei den Fälschern. Überdies steht neben der Komplizenschaft eint weiterer, schwerer Verdacht im Raum: dass die größte Zahl der von Beltracchi gefertigten Bilder weiterhin unentlarvt als „Original“ in Museen und Sammlungen hängt. Ohne Frage haben viele deshalb kein Interesse an echter Aufklärung.
Es ist das Verdienst von Arne Birkenstock, dass er diese komplexe Materie zugänglich macht und ihre verschiedenen Aspekte bündelt, ohne einzelne Facetten zu unterschlagen oder einseitig zu privilegieren. Es gelingt Birkenstock, unparteiisch zu bleiben, was sicher nicht einfach war, denn der Filmemacher hatte als Sohn von Beltracchis Anwalt mit persönlichen Anfeindungen und Unterstellungen zu kämpfen, obwohl gerade die persönliche Brücke ihm den Zugang zu Beltracci erst verschaffte. Auch wurde das Filmprojekt massiv behindert. Zahlreiche Informanten standen nicht zur Verfügung, Interviews wurden kurzfristig abgesagt oder nachträglich zurückgezogen. Ganz offenkundig gab es hinter den Kulissen Bestrebungen, den Film zu behindern oder ihm zumindest den Geruch der Parteilichkeit zu geben. Umso verdienstvoller ist, dass sowohl das Kunsthaus Lempertz als auch einzelne geschädigte Sammler und Galeristen sich nicht einschüchtern ließen und im Film auftauchen. Die zweite Stärke des Dokumentarfilms liegt in der Person Wolfgang Beltracchis begründet: Man begegnet einem hochbegabten Schelm zwischen charmanter Chuzpe und kriminellem Instinkt, einem Anarchisten, der die Lebenslügen des Kunstbetriebs entlarvt. Der Film ist nicht unkritisch, hält Distanz, bleibt jedoch einfühlend. Vor allem aber erkennt man die unbestreitbaren Fähigkeiten dieses Mannes, der nicht nur über profundes Expertenwissen verfügt, ohne das er zu seinen Täuschungen gar nicht in der Lage gewesen wäre. Man sieht Beltracchi vor der Kamera mehrere Bilder malen, unter anderem eines von Max Ernst, was eine faszinierende Erfahrung ist. Birkenstock bedient damit den Voyeurismus des Betrachters, der miterleben kann, wie auch eine Fälschung hohe Kunst ist
Die tiefere Frage, die diese sinnliche Entlarvungsstudie aus und über den Kunstbetrieb und seine Mechanismen aufwirft, ist die nach den Bedingungen, unter denen ein derartiger Betrug erst möglich ist: Was ist oder bedeutet im Zeitalter der technisch perfekten Reproduzierbarkeit überhaupt noch ein Original?