Frédéric Beigbeder, Roy Andersson, Jean-Pierre Jeunet und Marc Caro: der Weg von der Werbung zur Filmregie ist inzwischen einer der interessantesten Zugänge zum Kino und in gewissem Sinne eine Rückkehr des Kinos der Attraktionen. In diese Reihe passt auch der jüngste Film von Jean-Pierre Jeunet: „Die Karte meiner Träume“. Der Film ist in 3D konzipiert, ohne die üblichen Spielereien, dafür aber als Tor zur Welt eines zehnjährigen Nerds.
Kyle Catlett spielt den Jungen, der sich mehr für Ballistik als für wirkliche Winchester-Gewehre interessiert. Er wächst in Montana auf einer Ranch in einer ziemlich schrägen Familie auf. Der Vater (Callum Keith Rennie) ist ein schweigsamer Rancher, die Mutter (Helena Bonham Carter) eine verbohrte Insektologin, die Schwester will Schönheitskönigin werden, und der Bruder schießt auf alles, was sich bewegt. Der hochbegabte Junge nervt den örtlichen Lehrer, schafft es aber, den Wissenschaftspreis des Smithsonian Instituts zu gewinnen, mit einem magnetischen Perpetuum mobile, das 400 Jahre lang laufen soll. Für alle, die wissen, dass das thermodynamischer Unsinn ist, wird auch mal erwähnt, dass das eigentlich nur geht, wenn man eine negative Entropie annimmt. Aber darauf herumzureiten, wäre Spielverderberei, immerhin hat sich Leonardo da Vinci auch schon mit der Frage befasst.
In der Welt der Werbung geht es schrill und plakativ zu, wie in den Träumen eines Zehnjährigen oder in unserer medial durchgestylten Welt. Daraus saugt der Film seine visuelle Kraft. Während das Leben auf der Ranch ein unwirklich-wirklicher Kindertraum ist, erscheint das Leben in Washington wie eine wirklich-unwirkliche Inszenierung. Während auf der Ranch niemand ahnt, womit sich der Junge eigentlich beschäftigt, vermutet in Washington, D.C. niemand, dass der Preisträger ein Zehnjähriger ist.
Der Weg vom einen Ort zum anderen ist weniger ein Road Movie als eine Art Entwicklungsroman. Heimlich, mit einem Güterzug, flieht der Junge. Es ist auch eine Flucht vor der eigenen Schuld, da er glaubt, mit seinen ballistischen Experimenten seinen Bruder getötet zu haben. In Washington will er nicht nur den Preis abholen, sondern auch Vergebung erhalten. In der Hauptstadt ist dieser Parzival der Wissenschaft ein gefundenes Fressen für die PR des Smithsonian Instituts, für die Bildungspolitik und für die Medien.
Der Film komprimiert die Ereignisse auf zwei Schlüsselszenen: Eine hysterische Museumsdirektorin und ein skrupelloser Talkmaster stehen stellvertretend für unsere Potemkinsche Demokratie. Die Art, wie beide eine Abfuhr erhalten, ist für einen französischen Regisseur ziemlich amerikanisch geraten, aber immerhin bekommt der Junge das, was er gesucht hat: nämlich eine Absolution.
Man mag sich vielleicht daran stören, dass die Adaption des außergewöhnlichen Debütromans von Reif Larsen etwas großzügig auf ein Happy End zuläuft. Reichlich schweres familiäres Konfliktpotential wird in den letzten Minuten mit leichter Hand weggeräumt. Andererseits ist es ein Film, der auch für Kinder zugelassen und ästhetisch zugänglich ist, ohne für Erwachsene langweilig zu werden. Diesen Spagat zu bewältigen, eine ordentliche Geschichte sauber zu erzählen und gleichzeitig die Schaueffekte nicht für Mätzchen zu missbrauchen, ist etwas, was man in der heutigen Kinolandschaft durchaus schätzen sollte.