Ein Schweizer Taxifahrer wohnt mit Mitte 50 immer noch mit seiner dominanten Mutter zusammen, die ihn nach Strich und Faden ausnutzt. Erst als ein Amerikaner auftaucht, der behauptet, ebenfalls ein Kind der alten Frau zu sein, sieht sich der Taxifahrer gezwungen, die Beziehung zu seiner Mutter auf den Prüfstand zu stellen. Eine sympathische melancholische Komödie, die durch eine sorgfältige Regie und ausgezeichnete Darsteller souverän einige Schwächen in der Handlung überdeckt. Vor allem die realitätsnahe Gestaltung nimmt für sich ein.
- Ab 12.
Lovely Louise
- | Schweiz/Deutschland 2013 | 91 Minuten
Regie: Bettina Oberli
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Filmdaten
- Originaltitel
- LOVELY LOUISE
- Produktionsland
- Schweiz/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2013
- Produktionsfirma
- Hugofilm/Wüste Film/Schweizer Fernsehen SRG SSR
- Regie
- Bettina Oberli
- Buch
- Bettina Oberli · Petra Volpe
- Kamera
- Stéphane Kuthy
- Musik
- Adrian Weyermann
- Schnitt
- Andrew Bird
- Darsteller
- Stefan Kurt (André) · Annemarie Düringer (Louise) · Stanley Townsend (Bill) · Nina Proll (Steffi) · Michael Neuenschwander (Housi)
- Länge
- 91 Minuten
- Kinostart
- 13.02.2014
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 12.
- Externe Links
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Heimkino
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Von Anfang an liegen in diesem Film das Gefühl des Eingesperrtseins und unterdrückte Ausbruchswünsche in der Luft. Man muss nur sehen, wie verkrampft der Mittfünfziger André sich seinen Weg durch das Schwimmbecken bahnt. Er kann sich im Wasser nicht entspannen, weil er gemeinsam mit seiner etwa 80-jährigen Mutter Louise hier ist. Als er sie auf sich zutreiben sieht, geht André auf Tauchstation und entzieht sich so den Anforderungen der alten Frau. Freilich nur für einen kurzen Augenblick, der kaum als Rebellion zählt. Kurz darauf ist er schon wieder an ihrer Seite und föhnt ihr im Umkleidebereich gewissenhaft die Haare.
Der gemeinsame Schwimmbadbesuch ist für André kein aus dem Rahmen fallender Liebesdienst, sondern Teil seines Alltags, der ganz von seiner nicht mehr ganz rüstigen, aber immer noch dominanten Mutter bestimmt ist. Er durfte nie von Zuhause ausziehen, sondern hat Tag und Nacht für Louise da zu sein. Selbst seine Arbeit als Taxifahrer ist danach ausgerichtet, dass er seine Mutter nachmittags ins Café und abends ins Theater bringen muss, wo die betagte Schauspielerin immer noch kleine Auftritte absolviert. Später schlüpfen sie dann in ihrer beschaulichen Wohnung in die nebeneinander stehenden Pantoffeln, und der Sohn wartet geduldig ab, bis Louise zum Einschlafen bereit ist. Die Notwendigkeit dieses Arrangements stellt André so gut wie nicht in Frage. Schließlich macht seine Mutter ihm bei jeder Gelegenheit klar, wie sehr sie ihn braucht – und dass er eine Schuld bei ihr einzulösen hat. Hatte sie einst nicht eine glanzvolle Hollywoodkarriere sausen lassen, weil sie sich um ihren kleinen Sohn kümmern musste?
Filme über Muttersöhnchen spekulieren in der Regel auf die Schadenfreude der Zuschauer angesichts von Menschen, die auch in fortgeschrittenem Alter an Mutter-Kind-Verhaltensmustern festhalten. Die Schweizer Regisseurin Bettina Oberli hat für „Lovely Louise“ jedoch einen anderen Weg gewählt. Zwar geht es auch hier – innerhalb eines melancholischen Rahmens – lustig zu, doch entspringt die Komik nicht einer grotesken Übersteigerung der Kleinkindmentalität eines erwachsenen Mannes wie in „Elling – Nicht ohne meine Mutter“ (fd 36 480) oder der einer fast dämonischen mütterlichen Tyrannei wie in „Schmeiß die Mama aus dem Zug“ (fd 27 116). Stattdessen setzt Oberli auf realistisch anmutende Details, mit denen sie das ritualisierte Verhältnis zwischen Mutter und Sohn auf den Punkt bringt. Zugleich gibt sie ihren Darstellern die Gelegenheit, ihre Figuren zu weitaus komplexeren Leinwandpersönlichkeiten auszudifferenzieren, als es zunächst den Anschein hat.
Stefan Kurt verkörpert André als zurückhaltenden und fürsorglichen, aber keineswegs devoten Sohn. Trotz der mütterlichen Inanspruchnahme hat er sich Freiräume geschaffen, etwa wenn er selbstkonstruierte Modellflugzeuge aufsteigen lässt oder schüchtern mit einer Wurstverkäuferin anbandelt. Auf der anderen Seite gelingt es der Burgtheater-Legende Annemarie Düringer, Louise nicht einseitig auf ein manipulatives Muttermonster zu reduzieren: Zwar wendet sie souverän die Kunst an, ihren Sohn mit kleinen Spitzen auf seinen Platz zu verweisen, doch blitzt in ihren Blicken oder Gesten auch immer wieder echte Wärme und Zärtlichkeit auf.
Aufbrechen lässt sich diese festgefahrene Beziehung, die Oberli mit überwiegend starren Einstellungen auch auf der Bildebene umsetzt, nur durch einen Impuls von außen. Den liefert Bill (Stanley Townsend), ein dicklicher, etwas linkischer Amerikaner um die 50, der eines Tages auftaucht und sich als Louises Sohn aus einer Affäre mit einem Hollywood-Produzenten vorstellt. Während Louise seine aufdringliche Art als willkommene Abwechslung empfindet, fühlt sich André zurückgedrängt und argwöhnt, dass der angebliche Halbbruder keineswegs nur auf seinen Anteil an der Mutterliebe spekuliere.
Mit dem Erscheinen von Bill gibt Oberli ihrem Film eine etwas konstruierte Wendung zu einer komischen Dreierdynamik, vermeidet aber, sich eindeutig auf die Seite einer einzelnen Figur zu stellen. So werden Bills wahre Beweggründe erst am Ende und innerhalb einer feinen Bildmetapher aufgelöst, die den Anstoß für eine Neuordnung des Mutter-Sohn-Verhältnisses gibt. Das alles ist nicht spektakulär, durch aufmerksame Beobachtungen und sorgfältige Umsetzung aber ziemlich unwiderstehlich geraten. Ganz so wie bei Oberlis Erfolgsfilm „Die Herbstzeitlosen“ (fd 37 818), zu dem „Lovely Louise“ das Gegenstück bildet: War es dort eine alte Dame, die sich gegen den konservativen Sohn durchsetzte, findet die Emanzipation diesmal auf Seiten der jüngeren Generation statt.
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