Freitag, 26. September 1980, eine Woche vor den Bundestagswahlen. Am Haupteingang des Münchner Oktoberfests explodiert um 22.19 Uhr eine Bombe. 13 Menschen sterben, mehr als 200 werden verletzt. Unter den Toten ist auch der 21-jährige Geologiestudent Gundolf Köhler aus Donaueschingen, der die Bombe zündete und Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffman war. Doch dann fliegt der bayerische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Franz Josef Strauß aus Bonn ein. „Lassen Sie sich gefälligst etwas einfallen!“, schnauzt er den Staatsschutzchef Hans Langemann an, der zu Beginn des Films noch darüber referiert hatte, dass bei politisch motivierten Attentaten Einzeltäter immer als Bauernopfer vorgeschoben werden und sich die Strippenzieher nur selten ausmachen lassen. Langemann führt hinter versteckten Türen einige Telefonate, und dann steht für Polizei und Staatsschutz fest: Köhler ist allein verantwortlich für die Tat, eine Verbindung zum Rechtsterrorismus lässt sich nicht nachweisen.
Drei Jahre später stößt Ulrich Chaussy, Redakteur beim Bayerischen Rundfunk, bei einem Interview mit einem Opferanwalt auf Ungereimtheiten. Er trifft sich mit Zeugen, fährt nach Donaueschingen und erhält Hilfe von einem ungenannten Informanten, der ihn mit Akten versorgt. Chaussy kniet sich immer tiefer in den Fall. Bis es sogar seiner schwangeren Frau zuviel wird.
Politthriller, die in Form der kriminalistischen Recherche Macht hinterfragen und dabei Missbrauch, Korruption und Unterdrückung aufdecken, waren bislang stets eine Stärke des italienischen und französischen Kinos. Dass nun der Regisseur Daniel Harrich einen dezidiert politischen Film aus Deutschland gemacht hat, der Machtmissbrauch von Politikern und Eigeninteressen von Geheimdiensten hinterfragt, ist deshalb mehr eine Überraschung. Harrich treibt besonders zu Beginn seine Erzählung voran. Er stellt den Anschlag nicht nach, sondern begnügt sich mit grobkörnigem Nachrichtenmaterial, das vor allem die Arbeit von Polizei und Feuerwehr zeigt. Nach einer Viertelstunde springt der Film dann ins Jahr 1983 und konzentriert sich von da an auf Chaussys Recherchen, die nur gelegentlich von Szenen aus seinem Privatleben unterbrochen werden.
Die Antworten, die der Journalist erhält, sind eindeutig, die Fakten unanfechtbar, von Spekulationen Chaussys – das sieht Harrich genauso – kann also keine Rede sein. Die Motive von Politik und der Geheimdienst bleiben allerdings vage. Ob die Öffentlichkeit 1980 bewusst in die Irre geführt wurde, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Dass sich die Ermittlungen immer mehr ins Ungreifbare entziehen, erinnert an Francesco Rosis „Die Macht und ihr Preis“
(fd 19 828). Die wahren Drahtzieher sind im Labyrinth der Macht nicht auszumachen. Überdies gilt: Wer zuviel weiß, lebt gefährlich. Der Informant hingegen, mit dem sich Chaussy in düsteren Tiefgaragen trifft, legt eine Schneise zum Hollywoodkino, zu Alan J. Pakulas „Die Unbestechlichen“
(fd 19 971) und Deep Throat. Keine schlechten Referenzen, auch wenn „Der blinde Fleck“ nicht das große Kino ist wie seine Vorbilder.
Harrich lässt keinen Zweifel daran, dass die Ereignisse von damals auch heute noch brisant sind, nicht nur wegen der für ihn unabgeschlossenen Ermittlungen, sondern auch wegen des NSU-Prozesses. „Damals, 1980, waren die weitgehend gleichen Mechanismen des Wegschauens, des Ausblendens, des nicht wahrhaben Wollens bereits voll entwickelt, die wir jetzt im Fall NSU mit Erschrecken und Scham erkennen“, lässt er Chaussy, quasi als Essenz des Films, in einer Radiosendung resümieren. Dass Harrich und Chaussy mit ihrem Film die Hoffnung verbinden, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wieder aufnehme, zeugt von ihrem Engagement, dass sie mit „Der blinde Fleck“ in einen packenden Politthriller gekleidet haben.