Im deutschen Stummfilm hat man den Kammerspielfilm mit drei bis vier Protagonisten erfunden. Wenn es noch weniger werden, landet man schnell bei Robinson Crusoe oder dem alten Mann mit Meer. Dazwischen gibt es noch eine sehr anspruchsvolle Kategorie, die man Mikrodrama nennen könnte. Etwa Louis Malles „Mein Essen mit André“
(fd 23 272), zwei Freunde und ein Abendessen. Roberto Rossellinis „La voce umana“
(fd 10 915), eine Frau und ein Telefon. Manoel de Oliveiras „Belle toujours“
(fd 38 570), eine Frau, ihr ehemaliger Geliebter und ein Abendessen. Marguerite Durasʼ „Der Lastwagen“ (1977), ein falscher Lastwagenfahrer und eine richtige Schriftstellerin. Oder manche Filme von Jean-Marie Straub mit zwei Sprechern und einem Text. Polanskis „Venus im Pelz“ gehört hierher: ein Autor (Mathieu Amalric), eine Schauspielerin (Emmanuelle Seigner) und ein leeres Theater.
Der Autor, er nennt sich bescheiden Adapteur, hat den gleichnamigen Roman von Sacher-Masoch für die Bühne bearbeitet. Für die Rolle der Wanda sucht er eine Schauspielerin. Das Vorsprechen ist vorbei, und er ist sichtlich frustriert über das Ergebnis. Keine Domina im Pelz, sondern lauter Zicken und Schnepfen, klagt er übers Handy. „Eine hatte sogar eine Zahnspange!“ Man merkt der Vorlage von David Ives den Broadway an. Auftritt Emmanuelle Seigner. Sie kommt zu spät, aber will vorsprechen. Sie ist bewusst als schillernde Figur angelegt, nicht fassbar. Beständig trumpft sie mit neuen Überraschungen auf. Erst erscheint sie als alternde Prostituierte, die Schauspielerin werden will. Dann entpuppt sie sich immer mehr als profunde Kennerin des Stücks und des Autors, zeigt sich als brillante Schauspielerin und Meisterin der Beleuchtungstechnik. Mitunter gibt sie die Krypto-Feministin. Den Satz aus dem Buch Judith, „Aber der Herr, der allmächtige Gott, hat ihn gestraft und hat ihn in eines Weibes Hände gegeben“, kommentiert sie mit: „Ist das nicht frauenfeindlich?“ Zum Schluss wird sie eine veritable Göttin: Aphrodite im Pelz.
Der Autor gibt sich intellektuell überlegen, kann ihr aber verbal nicht Paroli geben. Zweifellos dominiert sie ihn, ignoriert seine Einwände gegen ein Vorsprechen, becirct ihn, fordert ihn intellektuell und erotisch heraus, und fesselt ihn schließlich an einen Bühnenkaktus. Man darf schon ahnen, dass das nur mit erstklassigen Schauspielern gutgeht, sonst stürzt es zur Klamotte ab. Amalric hat den schwierigeren Part, auch wenn Emmanuelle Seigner Siegerin nach Punkten ist. Sie hat einfach die besseren Pointen und „ihr Spiel hat etwas sehr Technisches“ (Amalric). Eine Diderot-Schauspielerin, die auch das Paradox meistert, mitten im großen Monolog noch ein leises Beiseite an ihren Partner zu schicken: „Das war schlecht.“
Einmal sagt Emmanuelle Seigner: „Nackt auf der Bühne? Kein Problem. Das kriegen Sie von mir gratis. Mit Sado-Masochismus kenne ich mich aus, ich arbeite schließlich am Theater.“ Und Polanski bekennt: „Sado-Masochismus hat etwas, das dem Theater nicht unähnlich ist: Man wird in seinen eigenen Fantasien zum Regisseur.“ Mit dieser Ambivalenz arbeitet der Film, aber lässt es kippen. Die Schauspielerin dominiert den Regisseur. Erst nur im Stück, als Rolle, dann tatsächlich. Diese vielfältigen Nuancen und Facetten sind eine Herausforderung für die Regie, die Polanski elegant meistert.
Die Wahl von Mathieu Amalric als Autor ist nicht nur die Wahl eines ausgezeichneten Schauspielers, sondern auch die Wahl eines Doppelgängers. Amalric ist Polanski nicht nur ähnlich, er ist sogar wie Polanski gestylt. Wer auch nur ein paar Sachen von Polanski kennt, wird mühelos über Motive aus seinem Werk stolpern. Die Travestie in „Der Mieter“
(fd 19 973), das Kleid aus „Tess“
(fd 22 218), das Messer aus „Das Messer im Wasser“
(fd 12 379), Klaustrophobie und erotische Obsession, Manipulationen und Maskeraden. Die ganze Mise-en-scène war eine sehr intime Sache. Über Weihnachten in Zwölf-Stunden-Tagen im leeren Theater abgearbeitet. Pawel Edelman, der Kameramann, gestaltet ganz unauffällig mit nur einer Kamera. Was wir sehen, ist also auch ein Meisterwerk des Schnitts. Es ist ein sehr persönlicher Film, wenn Polanski seine Ehefrau Emmanuelle Seigner und seinen Doppelgänger Amalric dieses Spiel im Spiel spielen lässt. Ein bisschen pervers könnte man sagen, wie ein Zuhälter, der seiner Hure nachspioniert.
Auch wenn der Film sich als seichte Komödie lesen lässt, gibt es doch Indizien genug, ihn seriöser zu sehen. Die dramatische Kamerafahrt mit Ouvertüre durch einen Boulevard mit nächtlichem Gewitter. Die Verwandlung, ja Entpuppung des vermeintlichen Flittchens als Aphrodite, die aus dem Bubble-Gum Geborene, möchte man sagen. Das mysteriöse Verschwinden der Göttin zum Schluss. Das Spiel, das immer wieder Ernst wird. Die Dekors und Lichtarrangements, die Wanda-Aphrodite-Seigner entwirft. Die in wenigen Handytelefonaten herbeigeführte Zerstörung des gutbürgerlichen Liebeslebens des Autors. Der ganze lockere und pseudoaufgeklärte Umgang mit Sex und Erotik wird hier vorgeführt und zum Verpuffen gebracht. Die Liebe ist eine Gottheit, mit der man nicht ungestraft scherzt.