Eine 17-jährige Einwanderin aus Russland schlägt sich in einem multiethnischen Berliner Problembezirk durch, dessen Überlebensregeln sie meisterlich beherrscht. Sie findet im Schreiben einen Ausweg aus ihrer Misere, was ihr Anfeindungen und Angriffe ihrer bildungsfernen Umgebung einbringt. Ihre angestaute Wut auf die Welt wird durch die Konfrontation mit Vertretern des Bildungsbürgertums in Frage gestellt. Die Adaption des gleichnamigen Debütromans von Alina Bronsky konzentriert sich ganz auf die großartig gespielte Hauptfigur. Auch wenn im authentischen Szenario Klischees nicht ganz vermieden werden, überzeugt der Film durch lebensnahe Dialoge und die einfühlsame Regie. (Teils O.m.d.U.; Kinotipp der katholischen Filmkritik)
- Sehenswert ab 16.
Scherbenpark
Drama | Deutschland 2013 | 92 (24 B./sec.)/91 (25 B./sec.) Minuten
Regie: Bettina Blümner
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2013
- Produktionsfirma
- Eyeworks Film Gemini/SWR
- Regie
- Bettina Blümner
- Buch
- Katharina Kress
- Kamera
- Mathias Schöningh
- Musik
- Ali N. Askin
- Schnitt
- Inge Schneider
- Darsteller
- Jasna Fritzi Bauer (Sascha) · Ulrich Noethen (Volker Trebur) · Max Hegewald (Felix Trebur) · Vladimir Burlakov (Peter) · Jana Lissovskaja (Mascha)
- Länge
- 92 (24 B.
sec.)
91 (25 B.
sec.) Minuten - Kinostart
- 21.11.2013
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama | Literaturverfilmung
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
Kaum eine Regisseurin hätte sich nach ihrem viel gelobten „Prinzessinnenbad“ (fd 38 178), dem intimen Porträt dreier pubertierender Freundinnen in Berlin-Kreuzberg, mehr geeignet als Bettina Blümner, um Alina Bronskys Erfolgsroman „Scherbenpark“ zu verfilmen. Wie die frühreif-frechen Heldinnen ihres Dokumentarfilms schlägt sich die 17-jährige Protagonistin Sascha in einem multiethnischen Problembezirk durch, dessen Überlebensregeln sie meisterlich beherrscht. Obwohl sie jeden Angriff gleichaltriger Jugendlicher mit einer Kaskade an Schimpfwörtern und handgreiflichen Beleidigungen quittiert, ist sie mit ihrer Vorliebe für Bücher ein Fremdkörper in der schaurigen Kulisse aus grauen Hochhäusern und verdreckten U-Bahn-Schächten.
Von anderen feindselig als „Bildungselite“ tituliert, findet sie nicht nur am Lernen und am Schreiben von autobiografischen Texten Gefallen. Sie schmiedet Fluchtpläne, die man ihr sofort abnimmt, scheint sie ihre miserable Lage doch schonungslos zu durchschauen. Zu allem Überfluss muss sie auch noch das Trauma verarbeiten, den Mord an ihrer Mutter aus nächster Nähe erlebt zu haben. Die Kunsthistorikerin war von Moskau nach Deutschland gezogen, in der Hoffnung, Sascha und ihre beiden jüngeren Halbgeschwister hier besser durchbringen zu können. Ihr Ehemann – Saschas Vater entpuppt sich als ein One-Night-Stand mit einem tschechischen Professor –, verkraftet es aber nicht, in der Fremde auf Hartz IV angewiesen zu sein. Als sich seine Frau von ihm trennt, erschießt sie der Ex-Soldat vor den Augen der Kinder und landet im Gefängnis.
Blümner verzichtet auf Rückblenden, die das Familiendrama effekthascherisch in Szene setzen würden. Sie konzentriert sich ganz auf ihre Hauptfigur, heftet sich an ihre Fersen und taucht in ihren Alltag ein, den die Kamera schnörkellos authentisch einfängt. Sascha erzählt aus dem Off lakonisch von dem Geschehenen oder verteidigt sich gegen das Misstrauen, das ihr nach dem Gewaltakt von anderen Aussiedlerfamilien entgegenschlägt. Sie schwankt zwischen Überanpassung an die deutsche Mehrheitsgesellschaft und Verachtung gegenüber ihrem prekären Umfeld, tadelt ihre Tante, dass sie Deutsch nur gebrochen beherrsche und geht auf Distanz zu ihrer Freundin, die sich im Gebüsch in der Nähe des als „Scherbenpark“ verspotteten Spielplatzes von gleich mehreren Jungs schwängern lassen will, um mit dem Kindergeld über ein eigenes Einkommen zu verfügen.
Als in der lokalen Tageszeitung ein mitfühlender Artikel über die Knasterlebnisse ihres Stiefvaters erscheint, mutiert Sascha schließlich zur Vorstadtamazone. Der zuständige Ressortleiter zeigt sich zu ihrer Überraschung mehr als selbstkritisch. Sein Hilfeangebot kommt gerade noch zur rechten Zeit. Um dem neuen Freund der Tante aus dem Weg zu gehen, zieht das wütende Ghettokind für einige Tage in das bildungsbürgerliche Bio-Haus samt Pool und Blick auf den Wald.
Der Umschwung zur Culture-Clash-Komödie ist vorprogrammiert, stört aber nicht weiter, da die Begegnung zwischen dem direkte Worte nicht scheuenden Gast und dem erotische Erfahrungen zielstrebig ansteuernden Filius ohne vorhersehbare Zuspitzungen auskommt. Die Reibung der Milieus bringt manche mentale Barriere ans Licht, die Sascha in ihrem Erwachsenenleben noch meistern muss.
Kein Wunder, dass sie nach der Konfrontation mit einer auf den ersten Blick problemabstinenten Luxuswelt milder und auch kindlicher erscheint, wäre da nicht der Selbstmord des Stiefvaters, den sie eigentlich nach seiner Haftentlassung töten wollte und der sie ein letztes Mal dazu animiert, ihr Viertel in Schutt und Asche zu legen.
Jasna Fritzi Bauer verkörpert großartig diese rebellische und zugleich klug analysierende Mädchenfigur, hin und her gerissen zwischen sich ausschließenden Identitäten, die sie im Finale auf dem Weg zu ihrem biologischen Vater in Prag hoffentlich unter einen Hut bekommt. „Scherbenpark“ ist Sozialkino über die im deutschen Film selten in Erscheinung tretenden Russlanddeutschen, ohne dozierenden Mitleidzwang, das zwar am üblichen Genre-Mix nicht vorbeikommt, aber in lebensnahen Dialogen und kompakter Handlungsführung so ehrlich bleibt, wie es ein guter „Bildungsroman“ sein sollte. Endlich wieder eine Adaption, die ihre Vorlage nicht verrät und bis zur letzten Minute in Atem hält.
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