Beim Stockcar-Racing ist so ziemlich alles erlaubt, Hauptsache, man geht als Erster durchs Ziel. Der junge Dean Whipple hat durchaus das Zeug zum Sieger. Aber als sein großes Rennen in die entscheidende Runde geht, nimmt er den Fuß vom Gas. Wie jemand, der im letzten Moment begreift, dass er nicht auf die Ziellinie, sondern auf einen Abgrund zurast. Zac Efron spielt Dean, dessen rebellischer Charakter direkt auf James Dean verweist, der in „…denn sie wissen nicht, was sie tun“ (fd 4852) kurz vor der Klippe aus dem Auto sprang, aber im realen Leben wenige Monate nach dem Dreh tödlich verunglückte. Das Familiendrama von Ramin Bahrani weist aber noch mehr Parallelen zu Deans kurzem, wenngleich unvergänglichem Filmschaffen auf. Wie Cal in „Jenseits von Eden“ (fd 4194) ist Dean derjenige Whipple-Spross, dem väterlicherseits weniger zugetraut wird als dem Erstgeborenen. Und wie Jett in „Giganten“ (fd 5516) scheint Dean auf dem spät eingeschlagenen Erfolgskurs jeden Rest an moralischen Bedenken über Bord zu werfen.
Der 1975 geborene US-Regisseur Ramin Bahrani hat mit „Um jeden Preis“ seinen ersten größer budgetierten Spielfilm gedreht. Fahrzeuge spielten auch in seinen bisherigen Werken schon tragende Rollen, beginnend mit „Man Push Cart“ (2005), in dem ein Pakistani in New York Kaffee auf Rädern verkauft. „Chop Shop“ (2007) erzählt von einem Straßenjungen, der in Queens Autos repariert, und „Goodbye Solo“ (2008) handelt von einem Taxifahrer, der einen Lebensmüden in einem Akt von Sterbehilfe ins Gebirge chauffieren soll. Von Film zu Film macht sich der steigende Lebensstandard von Bahranis Protagonisten am Symbol des Autos fest. Bei den Whipples ist der Besitz eines Fahrzeugs eine Selbstverständlichkeit. Rennautos, Pkws, Traktoren, Mähdrescher: in der Welt wohlhabender Farmer sind fahrbare Untersätze unverzichtbar.
Wie der Titel schon andeutet, handelt der Film von der zerstörerischen Kraft der Konkurrenz. Er spielt in Iowa, mitten im Maisgürtel der USA, doch nur die alten Filmschnipsel im Vorspann lassen noch einen Hauch der alten Farmer-Romantik spüren. Die Whipple-Farm ist ein moderner, nach allen Regeln der Effizienz organisierter Betrieb. Von Stress, Nackenschmerzen und der Sorge um den Fortbestand seiner Maisfarm geplagt, agiert Henry Whipple (Dennis Quaid) als Großbauer der dritten Generation am Rand der Legalität und darüber hinaus.
„Expandiere oder stirb“ lautet das Mantra in der hochgerüsteten Agrarkultur. Im Überlebenskampf sieht Henry sich gezwungen, das genmanipulierte Saatgut der allmächtigen Firma Liberty Seeds heimlich weiterzuverwenden, obwohl die Lizenz nach jeder Ernte erneuert werden soll. Dass Henry auch seine Frau Irene betrügt, nimmt diese stoisch hin.
Ihre beiden Söhne gehen getrennte Wege. Grant, der im Film kaum in Erscheinung tritt, befindet sich auf einem Europa-Trip. Dean lebt auf der Farm, träumt von einer Rennkarriere und erweckt nicht den Eindruck, als wolle er in die Fußstapfen seines Vaters treten. Paradoxerweise tut er es aber doch. Trotz des Konfliktpotentials zwischen Vater und Sohn, das die Stars Quaid und Efron streckenweise auch ausspielen dürfen, nähert sich der Sohn dem Vater immer mehr an. Anders als in Elia Kazans oder Nicolas Rays Melodramen der 1950er-Jahre steckt die Tragik hier nicht in der Kluft zwischen den Generationen, sondern in der Bereitschaft der Figuren, sich bis zur Selbstverleugnung an die Standards einer profitmaximierenden Ellenbogengesellschaft anzupassen. Sowohl Henry als auch Dean gelingt das bis zur traurigen Perfektion, wie eine verstörend-doppelbödige Szene im Finale zeigt.
Bis in die Familienstrukturen hinein wirkt der Film wie ein Update des Arthur-Miller-Stücks „Tod eines Handlungsreisenden“. Sowohl Willy Loman als auch Henry Whipple scheitern an der ausgehöhlten Utopie des amerikanischen Traums. Der grandiose Dennis Quaid fügt seiner Galerie demoralisierter Männerfiguren einen weiteren Antihelden hinzu. Zac Efron kann da nicht ganz mithalten, was auch am Drehbuch liegt: Deans Metamorphosen vom Rebellen zum skrupellosen Juniorbauer werden im wahrsten Wortsinn mit dem Holzhammer motiviert. Dass die Katastrophen, in die Dean verstrickt wird, sich auf den Feldern mit dem genveränderten Mais ereignen, also dort, wo Wachstum und Degeneration symbolisch zusammenfallen, wirkt allzu dick aufgetragen. Unterm Strich erzählt Bahrani seine Verfallsgeschichte aber in subtilen Details und mit inszenatorischem Geschick.
Obwohl „Um jeden Preis“ letztlich ein Männerfilm ist, punktet er mit überzeugenden Frauengestalten. Die weiblichen Parts bleiben dank starker Darstellerinnen im Gedächtnis – Heather Graham als Whipple-Geliebte Meredith, Maika Monroe als Deans Freundin Cadence und Kim Dickens als Ehefrau, Mutter und Dulderin Irene. Denn der Film greift zwar ein Duo sich gegenseitig korrumpierender Männer heraus, deutet aber auf ein systemisches Problemfeld hin: sozialer Zerfall, Expansion bis zum Exitus.