Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist dem tschechischen Kinderfilm seine Magie etwas abhandengekommen. Petr Oukropec versucht mit „Der blaue Tiger“ an die alten Traditionen wieder anzuknüpfen. Mitten in einer Großstadt, eingeklemmt zwischen Bahngleisen und Häusern, liegt ein alter botanischer Garten. Gepflegt wird er von der neunjährigen Johanna und ihrer Mutter, dem Gärtner Blume und dessen Sohn Mathias. Doch die Idylle ist bedroht, weil der Bürgermeister das marode Gewächshaus abreißen will, um einen Vergnügungspark zu errichten. Da taucht eines Tages ein Tiger in der Stadt auf, der Johannas Fantasie entspringt. Erst ist es nur ein Schatten, dann heißt es, er sei blau, und der Bürgermeister behauptet, dass er für das plötzliche Verschwinden vieler Hunde verantwortlich sei. Doch die Großkatze entpuppt sich als Tigerbaby, das Johanna und Mathias im Gewächshaus entdecken und vor den Häschern des Bürgermeisters verstecken. Wie durch ein Wunder sprießen im botanischen Garten plötzlich die exotischsten Pflanzen, die Besucher in Scharen anlocken und den Bürgermeister mit seinen Ideen im Regen stehen lassen. Der greift zum Äußersten und entführt den Tiger, hat aber nicht mit der Pfiffigkeit der Kinder gerechnet. Nur selten gelingen der Inszenierung so magische Momente wie die Verwandlung von Johannas Träumen in Zeichentricksequenzen oder wenn aus dem Haupt der dragonerhaften Lehrerin Drachenköpfe wachsen. Insgesamt wirkt die Regie etwas betulich, was den Film selbst im dramatischen Finale nicht recht in Fahrt kommen lässt. Vielleicht wollte Oukropec dem Überwältigungskino eine betont meditative Erzählweise gegenüberstellen, die kleine Zuschauer innehalten lässt und in eine Welt entführt, die in ihrer medialisierten Umgebung abhanden zukommen droht. Während man von den charismatischen Kinderdarstellern an die Hand genommen und in ihr „Paradies“ entführt wird, bieten die klischeehaft angelegten Erwachsenenfiguren kaum emotionale Berührungspunkte. So muss man schon viel Geduld aufbringen, um durch die ereignisarme Geschichte zum Kern der Botschaft vorzudringen: Kein „Paradies“ ist von Dauer. Doch wenn man das dort erlebte Glück in seinem Herzen bewahrt, wird man es auch andernorts finden, wenn man gute Freunde hat.